Auf lebensrettende Anti-Infektiva fokussiert
Arzneimittel gegen Infektionskrankheiten aufzuspüren, schien großen Pharmaunternehmen einst keine lohnende Zukunftsinvestition mehr zu sein. So kündigte auch Bayer 2004 an, seine Antiinfektiva-Forschung aufzugeben. Deren Chefin, die renommierte Virologin Helga Rübsamen-Schaeff, kämpfte jedoch für ihre Arbeit und fand in den Gebrüdern Strüngmann finanzkräftige Investoren, die unter ihrer Führung am 1. März 2006 die AiCuris (Anti-Infective Cures) in Wuppertal als eigenständiges Unternehmen an den Start brachten.
Mit Sachverstand, strategischer Intelligenz und Vertrauen in ihr bewährtes Team legte Rübsamen den Grundstein für AiCuris‘ heutigen Erfolg. Im ersten Schritt setzte sie fast alles auf eine vielversprechende Nischenindikation: Die Prophylaxe von Cytomegalie-Ausbrüchen nach einer Knochenmarkstransplantation. Bereits bei Bayer hatte das Team um den späteren CEO Holger Zimmermann die Substanz Letermovir bis zur Schwelle der klinischen Prüfung entwickelt. Mit dem Cytomegalievirus (CMV) ist die große Mehrzahl aller Menschen infiziert. Normalerweise verläuft diese Infektion ohne Symptome, weil das Immunsystem eine Vermehrung der Viren verhindert. Nach einer Transplantation kostet CMV immunsupprimierten Patienten aber häufig das Leben. Ob sich das durch die postoperative Gabe von Letermovir verhindern lässt, prüfte AiCuris in seiner ersten klinischen Studie.
AiCuris ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das sich auf die Entdeckung, Erforschung und Entwicklung neuartiger, resistenzbrechender antiviraler und antibakterieller Wirkstoffe zur Behandlung von schweren und potenziell lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten spezialisiert hat. AiCuris verfügt heute über eine innovative Pipeline von Antiinfektiva.
Alle bis dahin verfügbaren CMV-Medikamente waren für eine Prophylaxe ungeeignet, weil sie nicht nur das Virus, sondern auch den menschlichen Organismus angriffen. Letermovir hemmt dagegen ein Virus-Enzym, das beim Menschen nicht vorkommt. Tatsächlich zeigten die 2012 publizierten Ergebnisse der Phase II der klinischen Prüfung eine gute Verträglichkeit und Wirksamkeit der Substanz – und weckten das Interesse von Big Pharma. Im Oktober 2012 lizenzierte AiCuris das Präparat an MSD (Handelsname von Merck & Co., Inc., Rahway, N.J., USA, (NYSE: MRK)) aus. Das trug der Firma mit 110 Millionen die damals größte Abschlagszahlung für ein Forschungsprojekt aus der deutschen Biotech-Szene und die Aussicht auf zusätzliche Meilensteinzahlungen in Höhe von 332,5 Millionen Euro ein.
Die von MSD organisierten Phase-III-Studien erreichten 2016 ihr Ziel. Sie bewiesen, dass Letermovir die Mortalitätsrate nach Knochenmarkstransplantationen signifikant senkte. Im beschleunigten Verfahren erteilte die FDA dem Präparat im November 2017 die Zulassung. Inzwischen beläuft sich sein weltweiter Umsatz unter dem Markennamen Prevymis® auf mehr als 400 Millionen US-Dollar jährlich. 2018 verlieh der Bundespräsident den Deutschen Zukunftspreis an Helga Rübsamen-Schaeff und AiCuris-CEO Holger Zimmermann, weil sie „das weltweit erste und einzige Medikament zur Vorbeugung gegen Infektionen mit einem weit verbreiteten Virus bei Knochenmarkstransplantationen“ entwickelt und damit der Transplantationsmedizin neue Perspektiven erschlossen haben. In einer zweiten Indikation, für die Anwendung nach Nierentransplantationen, stand Letermovir Ende 2022 kurz vor der Zulassung.
Mit seiner Entwicklungs-Pipeline und seinen Erfolgen mit neuartigen Wirkstoffen für Patienten mit eingeschränktem Immunsystem belegt AiCuris eindrucksvoll, wie lebensnotwendig die Anti-Infektiva-Forschung ist und bleibt.
Im Februar 2021 wurde AiCuris, die inzwischen rund 70 Mitarbeiter beschäftigt, von einer GmbH in eine AG umgewandelt. So sollen zusätzliche Chancen für zukünftiges Wachstum eröffnet werden. Im selben Jahr nahm das Unternehmen seine erste eigene Phase-III-Studie in Angriff, um das Präparat Pritelivir zur Behandlung von resistenten Herpes-Simplex-Infektionen bei immunkomprimierten Patienten zur Marktreife zu bringen. AiCuris entwickelt außerdem ein Präparat, das zum Ziel hat, Transplantatverluste und erhöhte Morbidität durch das BK-Virus (BKV) zu verhindern. Damit sind viele Menschen zeitlebens asymptomatisch infiziert, erkranken aber daran, wenn ihr Immunsystem nicht mehr einwandfrei funktioniert. Weiterhin werden in der präklinischen Forschung Ansätze zur Bekämpfung anderer Viren sowie multi-resistenter Bakterien generiert. Mit seiner Entwicklungs-Pipeline und seinen Erfolgen mit neuartigen Wirkstoffen für Patienten mit eingeschränktem Immunsystem belegt AiCuris eindrucksvoll, wie lebensnotwendig die Anti-Infektiva-Forschung ist und bleibt.
Redaktion: Dr. Claudia Englbrecht englbrecht@biodeutschland.org, Joachim Pietzsch j.pietzsch@wissenswort.com