Patente in Zeiten der Covid-19-Pandemie: Was sind Patente auf Impfstoffe & Co. wert?

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Coronavirus SARS-CoV-2 wurden in Rekordzeit Impfstoffe, Therapien und Technologien entwickelt, um die Pandemie möglichst rasch einzudämmen und Leben zu retten.

In der Europäischen Union ist der von dem deutschen Unternehmen BioNTech in Kooperation mit dem U.S.-Unternehmen Pfizer entwickelte Corona-Impfstoff Ende Dezember 2020 zugelassen worden. Es folgten Zulassungen für die Impfstoffe von Moderna, AstraZeneca und Janssen Pharmaceutica. Die ersten Corona-Impfungen in Deutschland und einigen anderen EU-Mitgliedsländern erfolgten ebenfalls noch Ende 2020.

Bereits früh zeichnete sich ab, dass der Bedarf an Impfstoff enorm sein wird. Es stand zu befürchten, dass die zur Verfügung stehenden Impfstoffe für eine rasche und flächendeckende Versorgung innerhalb der Europäischen Union, geschweige denn weltweit, nicht ausreichen werden.

Mit Blick auf diesen voraussichtlichen Mangel an ausreichenden Mengen von Impfstoff, Desinfektionsmittel, Therapeutika, Mund-Nasen-Schutz etc. hat der deutsche Gesetzgeber bereits im Frühjahr 2020 eine neue Regelung in das deutsche Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgenommen: Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG kann staatlich angeordnet werden, dass eine patentrechtlich geschützte Erfindung von Arzneimitteln einschließlich Impfstoffen und Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes benutzt werden soll.

Bereits zuvor existierten Regelungen, wonach erteilte Patente nach deutschem Patentrecht gemäß § 13 Patentgesetz (PatG) durch staatliche Benutzungsanordnungen im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt sowie gemäß § 24 PatG durch Zwangslizenzen im öffentlichen Interesse eingeschränkt werden können.

Ob aufgrund etwaiger Versorgungsengpässe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Zwangslizenzen oder gar staatliche Benutzungsanordnungen in Bezug auf patentrechtlich geschützte Corona-Impfstoffe und Medikamente etc. zur Bewältigung der aktuellen Pandemie zum Einsatz kommen, bleibt abzuwarten. Die Regierungskoalition hat Mitte des Jahres einen Antrag der Linksfraktion zur Freigabe von Impfstoffpatenten abgelehnt und betont, der Schutz von geistigem Eigentum sei Quelle von Innovationen und müsse es auch in Zukunft bleiben. In einem offenen Brief an die Kanzlerkandidaten kurz vor der Bundestagswahl 2021 sprachen sich mehr als 140 frühere Staats- und Regierungschefs sowie Nobelpreisträger dafür aus, bei der WHO eine weitreichende und umfassende Aussetzung der Regeln zum Schutz geistigen Eigentums für alles Technologien mit Bezug zu Covid-19 zu unterstützen. Sowohl auf der Ebene des EU-Parlaments als auch der WHO werden seit dem Sommer intensive Debatten über eine vorübergehende Aussetzung des sog. TRIPS-Übereinkommens, dem zentralen Abkommen der WHO-Mitgliedstaaten, geführt, bislang ohne Einigkeit.

Nachfolgend soll ein Überblick darüber geben werden, unter welchen Voraussetzungen die Rechte eines Patentinhabers durch bereits gesetzlich verankerte Zwangsmaßnahmen eingeschränkt werden können.

Grundsatz

Grundsätzlich wird Patentschutz für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik gewährt. Dies gilt auch für Impfstoffe, antivirale Wirkstoffe, Diagnoseverfahren, Hygieneartikel etc. Der Patentinhaber hat das ausschließliche Verwertungsrecht (Monopolrecht) für die Dauer von mindestens 20 Jahren inne (vgl. Art. 33 TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), § 16 PatG).

Einschränkungen des Patentschutzes

Das Monopolrecht des Patentinhabers kann ausnahmsweise eingeschränkt werden durch:

Zwangslizenz, § 24 Abs. 1 PatG

Auf gerichtliche Anordnung des Bundespatentgerichts (BPatG) hin kann der Patentinhaber verpflichtet werden, einem Dritten (in der Regel einem privaten Unternehmen) eine einfache, zeitlich und inhaltlich begrenzte und ggf. bedingte Lizenz zu erteilen (§ 24 Abs.1, Abs. 6 PatG). Voraussetzung hierfür ist das erfolglose Bemühen des Dritten um eine angemessene Lizenz (Lizenzunwilligkeit des Patentinhabers oder grob überzogene Forderungen) sowie ein besonderes öffentliches Interesse, bspw. der Gesundheitsschutz (Bekämpfung einer Pandemie). Auch darf es kein anderes milderes Mittel geben und das Interesse der Allgemeinheit am Erlass der Maßnahme muss die Interessen des Patentinhabers im Einzelfall überwiegen. Diese Verhältnismäßigkeit kann gegeben sein, wenn der Patentinhaber über keine ausreichenden Produktionskapazitäten verfügt, wohl aber der Dritte. Auch darf es keine gleichwertigen Wirk- oder Impfstoffe geben.

Der lizenzsuchende Dritte hat dem Patentinhaber eine angemessene Vergütung zu zahlen (§ 24 Abs. 6 S. 4 PatG), die durch das Gericht festzusetzen ist. Sie muss angemessen sein und damit alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, insbesondere den wirtschaftlichen Wert der Lizenz. Die Festsetzung der Vergütung orientiert sich an dem, was Vertragsparteien unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in einem Lizenzvertrag vernünftigerweise vereinbart hätten.

Die Hürden für die Erteilung von Zwangslizenzen sind in Deutschland jedoch hoch. Bislang hat der Bundesgerichtshof (BGH) lediglich in einem einzigen Fall das Vorliegen eines öffentlichen Interesses bejaht, das die Erteilung einer Zwangslizenz rechtfertigt (BGH-Urteil X ZB 2/17 vom 11.07.2017 "Raltegravir").

In einer nachfolgenden Entscheidung "Alirocumab" (BGH-Urteil X ZB 2/19 vom 04.06.2019) hat der BGH das besondere öffentliche Interesse hingegen verneint. Dem Lizenzsucher war es nicht gelungen, nachzuweisen, dass das Arzneimittel, für welches eine Zwangslizenz begehrt wurde, Vorteile gegenüber verfügbaren Mitteln aufweist.

Staatliche Benutzungsanordnung, § 13 PatG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG

Bei einer staatlichen Benutzungsanordnung gemäß § 13 PatG handelt es sich um eine staatlich angeordnete, zeitlich und inhaltlich begrenzte (teilweise) Aufhebung der Rechte eines Patentinhabers, welche lediglich in besonderen Ausnahmefällen erfolgen kann.

Die eingangs genannte Vorschrift des § 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSG ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit, staatliche Benutzungsanordnungen gem. § 13 PatG vorzunehmen, sofern der Deutsche Bundestag eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" feststellt (so geschehen am 25. März 2020 und in der Folge bestätigt). Die hierdurch erfolgende Zuständigkeitsverschiebung von der Bundesregierung hin zum Gesundheitsministerium dient der Verfahrensbeschleunigung.

Eine staatliche Benutzungsanordnung als stärkster Eingriff in die Rechte des Patentinhabers könnte unter der Voraussetzung ergehen, dass die Benutzung einer Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder der Sicherheit des Bundes steht. Da es sich bei der Corona-Pandemie um eine epidemische Lage von nationaler Tragweite handelt (§ 5 Abs. 2 Nr. 5 IfSchG), sollte diese Voraussetzung grundsätzlich gegeben sein. Das Infektionsschutzgesetz hat die von einer staatlichen Benutzungsanordnung ggf. betroffenen Patente näher spezifiziert und gegenüber der früheren Rechtslage deutlich erweitert: Patente betreffend Arzneimittel, Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe hierfür, Medizinprodukte, Labordiagnostik, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Desinfektionsprodukte (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG). Auch hier gilt wieder das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Es darf kein anderes milderes Mittel geben.

Der Patentinhaber hat ebenfalls einen Anspruch gegenüber dem Staat auf eine angemessene Vergütung (§ 13 Abs. 3 PatG). Bei der Schätzung der Höhe der Vergütung kann die Bedeutung des Patents und der dem Patentinhaber entgangene Gewinn berücksichtigt werden.

Bislang gab es lediglich einen einzigen Fall einer staatlichen Benutzungsanordnung in Deutschland, kurz nach Ende des 2. Weltkriegs (OLG Frankfurt PMZ 49, 330).

Muss ein Patentinhaber aktuell Zwangsmaßnahmen fürchten?

Die Hürden für eine Zwangslizenz und staatliche Benutzungsanordnung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehender Produkte sind nach deutschem Recht sehr hoch und können nur in besonderen Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Das Bestehen einer epidemischen Lage allein reicht nicht aus. Es muss zusätzlich ein Versorgungsengpass drohen, der die Zwangsmaßnahmen erforderlich macht, um die Versorgung mit bestimmten lebensnotwendigen Produkten sicherzustellen.

Momentan ist ein Versorgungsengpass zumindest in Deutschland nicht erkennbar. Es wird vielmehr vereinzelt davon berichtet, dass in Impfzentren und Arztpraxen Impfstoffe nicht abgerufen und verworfen werden müssen.

Zwangsmaßnahmen können darüber hinaus zu einer dauerhaften Beschädigung des Patentsystems mit seiner Anreizfunktion führen. Gerade forschungsaktive Unternehmen würden dadurch benachteiligt. Dies scheint auch in große Teile der Politik vorgedrungen zu sein und ist seit je her die Sicht der deutschen Gerichte. Deshalb ist es nach unserer Auffassung eher unwahrscheinlich, dass im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in Deutschland staatliche Benutzungsanordnungen zur Anwendung kommen. Auch die Erteilung von Zwangslizenzen ist wohl derzeit nicht zu erwarten. Das liegt auch daran, dass etwaige Versorgungsengpässe eher durch allgemein begrenzte Produktionskapazitäten sowie nur bedingt beschleunigbare Entwicklungs- und Zulassungsprozesse verursacht werden und nicht durch die Lizenzunwilligkeit der Patentinhaber. Einige größere Unternehmen hatten sogar zu Beginn der Pandemie angekündigt, zeitlich begrenzt Schutzrechte, die Erfindungen zu deren Bekämpfung betreffen, nicht durchsetzen zu wollen.

Aber selbst wenn es in den kommenden Wochen oder Monaten zu Zwangslizenzen kommen sollte, sind die Auswirkungen für den Patentinhaber letztlich moderat. Zum einen bleiben Vergütungsansprüche des Patentinhabers weiter bestehen. Des Weiteren bleiben die Patente erhalten, d.h. der Patentinhaber darf das Patent auch während der Dauer einer Zwangslizenz oder auch Benutzungsanordnung selber weiter nutzen bzw. verwerten. Nicht zuletzt sind die Zwangsmaßnahmen wohl zeitlich auf die Dauer der Pandemie zu beschränken, und der Patentinhaber wird nach dem Ende der Pandemie über die Monopolrechte wieder uneingeschränkt verfügen dürfen. Da nach Einschätzung der Experten das Coronavirus SARS-CoV-2 endemisch und damit weiterhin lokal begrenzt auftreten wird, sollte die Bedeutung derartiger Schutzrechte auch in Zukunft hoch sein.

Inhaber von Patenten auf Corona-Impfstoffe/ -Arzneimittel bzw. anderweitige Produkte mit Corona-Bezug können einer Benutzungsanordnung/Zwangslizenz zudem dadurch vorbeugen, dass sie Lizenzbereitschaft signalisieren oder zeitlich und inhaltlich begrenzte Verzichtserklärungen (sogen. "patent pledges") abgeben. In Bezug auf deutsche Patente kann eine sogenannte "Lizenzbereitschaftserklärung" gegenüber jedermann im Patentregister eingetragen werden, wodurch sich außerdem für den Patentinhaber die Jahresgebühren um 50% reduzieren. Auch besteht die Möglichkeit der Bildung von Patentpools, bei denen relevante Patente gemeinsam mit Wettbewerbern gebündelt und einheitliche, angemessene Lizenzbedingungen definiert werden.

Patente bleiben also auch und gerade in Zeiten einer Pandemie wichtige Instrumente zur Sicherung von Innovationen. Denken Sie also weiterhin daran, Ihre Erfindungen umfangreich zu sichern.