Vom Forschungsdienstleister zum Arzneimittelanbieter

Länger als Simon Moroney hat kein anderer Manager ein börsennotiertes Biotech-Unternehmen geführt, 27 Jahre lang insgesamt, wenn man die Zeit von der Gründung von MorphoSys bis zu dessen Gang an die Frankfurter Börse 1999 mitrechnet. Nachdem er in seiner Heimat Neuseeland Chemie und Mathematik studiert hatte und 1984 in Oxford promoviert worden war, sammelte Moroney bei ImmunoGen in Boston erste Biotech-Erfahrungen. 1992 tat er sich mit dem etwa gleichaltrigen Biochemiker Andreas Plückthun zusammen, der damals eine Forschungsgruppe am Martinsrieder Max-Planck-Institut für Biochemie leitete, um MorphoSys zu gründen. Die Gründungsidee der beiden war es, menschliche Antikörper für die Entwicklung neuer Medikamente zu nutzen. Das war 1992 ein neuer Ansatz, der Mut und langen Atem erforderte. Denn noch ahnte kaum jemand, dass monoklonale Antikörper einmal zu den erfolgreichsten Wirkstoffklassen der Medizin gehören würden.

Schon zwei Jahre später hatte MorphoSys seine Gründungsidee mit einer soliden Grundlage unterfüttert, einer Bibliothek von zehn Milliarden menschlichen Antikörpern, der Human Combinatorial Antibody Library (HuCAL®). Moroney und seine Kollegen stützten diese Erfindung auf die flexiblen antigen-bindenden Teile (Fabs) von Antikörpern. Die HuCAL-Bibliothek bildete fortan die Basis der Unternehmensstrategie, sich auf die Entwicklung vollständig menschlicher Antikörper zu spezialisieren, um neue Therapieansätze zur Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten zu entdecken. Ziel war es, HuCAL weltweit als Standard für die Entwicklung von Antikörpern zu etablieren, sowohl für Forschungszwecke als auch für die Entwicklung neuer Medikamente.

MorphoSys ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das sich der Entwicklung von bahnbrechenden Medikamenten verschrieben hat und Menschen mit Krebs ein besseres und längeres Leben ermöglichen möchte.

www.morphosys.com

Im Jahr 2000 bezog MorphoSys mit inzwischen 100 Mitarbeitern ein eigenes Firmengebäude in Martinsried. Im selben Jahr hatte der Börsenneuling wie viele andere Start-ups jener Jahre mit den Folgen des Platzens der Dotcom-Blase zu kämpfen. Dank einträglicher Partnerschaften mit namhaften Pharma-Unternehmen wie Novartis, Janssen, Schering-Plough, Pfizer, Merck, Bayer und Roche, die das Potential der Antikörper-Bibliothek zu schätzen wussten, entwuchs MorphoSys in den kommenden Jahren als Forschungsdienstleister jedoch rasch allen Finanzierungsschwierigkeiten. Seine Wissenschaftler trieben gleichzeitig den Ausbau von HuCAL zu einem Platin-Standard von 45 Milliarden humanen Antikörpern voran. Durch die Übernahme der britischen Firmen Biogenesis und Serotec stieg MorphoSys seit 2005 zum größten Anbieter von Antikörpern für die Forschung in Europa auf. Im selben Jahr war die Geburtsstunde von Guselkumab. Diesen Antikörper gegen den körpereigenen Entzündungsmediator Interleukin 23 brachte Lizenzpartner Janssen im Juli 2017 in den USA in der Indikation Schuppenflechte zur Zulassung. Es war die erste Marktzulassung für ein auf HuCAL basierendes Medikament – und für MorphoSys, das in der Woche zuvor seinen 25. Geburtstag gefeiert hatte, ein Wendepunkt. Janssens Jahresumsatz mit Guselkumab (Tremfya®) stieg bald auf mehr als zwei Milliarden US-Dollar. Beflügelt von diesem Erfolg, unternahm MorphoSys 2018 den Gang an die NASDAQ in New York.

Durch die Übernahme der britischen Firmen Biogenesis und Serotec stieg MorphoSys seit 2005 zum größten Anbieter von Antikörpern für die Forschung in Europa auf.

Im Jahr darauf übernahm der Mediziner Jean-Paul Kress den Vorstandsvorsitz. Unter seiner Führung fokussierte sich das Unternehmen auf die Onkologie und erweiterte seine Antikörper-Pipeline um kleine Moleküle. 2019 erteilte die FDA erstmals eine Zulassung für ein Medikament aus der eigenen Entwicklungspipeline, mit deren Aufbau MorphoSys 2007 begonnen hatte. Es handelt sich um Monjuvi® (Tafasitamab) in Kombination mit Lenalidomid zur Behandlung von Patienten mit einer bestimmten Art von Blutkrebs. Für dessen Vermarktung baute MorphoSys eine eigene Vertriebs- und Marketingorganisation in den USA auf und wurde mit diesem Schritt zu einem integrierten biopharmazeutischen Unternehmen. 2021 erwarb MorphoSys für 1,7 Milliarden US-Dollar das US-amerikanische Biotech-Unternehmen Constellation Pharmaceuticals und mit ihm vielversprechende Produktkandidaten, darunter der Kinaseinhibitor Pelabresib zur Behandlung der Myelofibrose, dessen Phase-III-Daten Anfang 2024 vorliegen sollen. 2025 dann, so hoffen Kress und seine mehr als 600 Mitarbeiter, soll MorphoSys zwei Krebsmedikamente anbieten können.

Redaktion: Dr. Claudia Englbrecht englbrecht@biodeutschland.org, Joachim Pietzsch j.pietzsch@wissenswort.com