BAH, BIO Deutschland, BPI, AG Pro Biosimilars, vfa: Fünf gute Gründe gegen die automatische Substitution von Biopharmazeutika
16.03.2023
Worum geht’s?
Was sind Biopharmazeutika?
Bei den als Biopharmazeutika bezeichneten Arzneimitteln (auch, biologische Arzneimittel, Biologika1, Biologicals oder biological medicinal product genannt) handelt es sich um hochkomplexe biologische Arzneimittel mit entsprechenden Wirkstoffen, deren Charakteristika im Wesentlichen durch den Produktionsprozess bestimmt werden und die in der Regel gentechnologisch hergestellt werden.
Ein Biosimilar ist ein Biopharmazeutikum, das die Wirksamkeit, Verträglichkeit, Qualität und Sicherheit eines anderen bereits zugelassenen und als Referenzprodukt für das Biosimilar dienenden Biopharmazeutikums nachahmt und nach dessen Patentablauf verfügbar werden kann.2
Was ist die automatische Substitution?
Die automatische Substitution wird als die Abgabe auf Apothekenebene eines Arzneimittels anstelle eines anderen vergleichbaren und austauschbaren Arzneimittels ohne Rücksprache mit dem/der verschreibenden/r Arzt/Ärztin definiert.3
Die automatische Substitution stößt auf breite Ablehnung seitens der Ärzt:innen, Apotheker:innen, Patient:innen und Pharma-Unternehmen.
Warum sind Biopharmazeutika nicht mit Generika gleich zu setzen?
Biopharmazeutika sind keine chemisch-synthetischen Arzneimittel. Demzufolge sind Biosimilars auch nicht mit generischen Arzneimitteln (Generika) gleich zu setzen. Produktion und Versorgung unterliegen gänzlich anderen Rahmenbedingungen. Die Instrumente, die den Generika-Markt regeln, sind nicht auf den Biopharmazeutika-Markt übertragbar. Vielmehr müssen sie entsprechend angepasst werden, um eine qualitätsgesicherte Anwendung von Biopharmazeutika und ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit für die Patient:innen zu gewährleisten.
Fünf gute Gründe gegen die automatische Substitution von Biopharmazeutika in der Apotheke
1. Wettbewerb generiert bereits umfangreiche Einsparungen
Biosimilars weisen in Deutschland ein sehr starkes Wachstum auf und gelangen schon heute rasch in die Versorgung. Der Biopharmazeutika-Markt ist durch Wettbewerb geprägt und hat bereits zu signifikanten Einsparungen im Gesundheitssystem geführt. Der aktuelle Marktanteil der Biosimilars war im Dezember 2022 (basierend auf Tagesdosen, Gesamtmarkt Apotheke und Klinik) bei vielen Produkten hoch: 76% für Adalimumab-, 83% für Etanercept-, 85% für Trastuzumab-, jeweils 91% für Infliximab- und Rituximab- und sogar 94% für Bevacizumab-Biosimilars. Der Wettbewerb ist also längst in vollem Gang und sollte auch nicht durch gesetzgeberische bzw. politische Interventionen, wie die automatische Substitution in der Apotheke, behindert werden.
2. Wirtschaftliche Verordnung ist bereits gewährleistet
Aufgrund von Open-House-Rabattverträgen und weiterer Einsparinstrumente, wie Zwangsrabatten und Festbeträgen, erhalten die Krankenkassen bereits heute von den pharmazeutischen Unternehmen umfangreiche Preissenkungen und erzielen damit zusätzliche erhebliche Einsparungen. Ärzt:innen werden durch die Krankenkassen über die vorliegenden Verträge informiert und beachten diese im Rahmen ihrer Verordnungen. Zudem haben die Ärzt:innen die weiteren, zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung und Kassenärztlichen Vereinigungen regional vereinbarten Vorgaben, wie z. B. Mindestquoten, zu berücksichtigen.
Mit der Änderung des AM-RL Paragraf 40a (neu) im Jahr 2021 (Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnung von Biopharmazeutika für Ärztinnen und Ärzten) ist zudem bereits hinreichend dafür gesorgt, dass Biopharmazeutika wirtschaftlich verordnet werden.
Zusätzlich wirkt sich die Dynamik der Hilfstaxe kostendämpfend, denn seit dem 1. September 2022 müssen Biosimilar-Unternehmen den Apotheken für ihre Biosimilars, die in parenteralen Zubereitungen verwendet werden, bis zu fast 68 Prozent Rabatt gewähren. Daraus ergeben sich hochgerechnet Einsparungen von mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr, die Biosimilars aufgrund dieser neuen Regelung allein im niedergelassenen Bereich generieren4.
Diese Instrumente heben umfassend das Einsparpotenzial der Biopharmazeutika. Eine doppelte Steuerung durch eine automatische Substitution in der Apotheke ist also überflüssig.
3. Abstimmung Ärzt:innen/Patient:innen essenziell für Therapieerfolg
Biopharmazeutika sind hochkomplexe Arzneimittel und werden häufig bei schweren chronischen Erkrankungen eingesetzt. Aus diesem Grund ist für den Therapieerfolg eine engmaschige ärztliche Begleitung erforderlich, auch um Nocebo-Effekte5 zu vermeiden. Außerdem werden viele dieser Arzneimittel für die Selbstanwendung mithilfe von Applikationshilfen (Devices) entwickelt. Bei einem Produktwechsel kommt es bei gleichzeitigem Wechsel des Devices unweigerlich zu Verunsicherungen durch eine veränderte Anwendung. Darauf weisen auch die Arzneimittelkommissionen der deutschen Ärzteschaft und der Deutschen Apotheker hin. Zur Vermeidung von Medikationsfehlern und einer Abnahme der Therapietreue (Adhärenz) ist die ärztliche Aufklärung der Patient:innen sehr bedeutsam (s. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft). Sie ist entscheidend für den Therapieerfolg.
4. Transparenz fördert Arzneimittelsicherheit
Eine eindeutige Identifizierung und Rückverfolgung der verordneten und angewendeten Biopharmazeutika dient der Arzneimitteltherapie- und der Patient:innen-Sicherheit. Die Zuordnung von z. B. Nebenwirkungen, die ggf. auch erst später im Verlauf der Therapie auftreten können, ist nach einer Substitution in der Apotheke nicht mehr hinreichend sichergestellt. Denn Ärzt:innen haben unter den aktuell gültigen Bedingungen keine regelhafte Information über eine Substitution in einer Apotheke und damit über das tatsächlich abgegebene Arzneimittel. Die erforderliche Übermittlung via Telematikinfrastruktur steht nicht zur Verfügung. Zudem sind mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz die Verpflichtung zur Verwendung des E-Rezepts in der Versorgung aufgehoben und die Dokumentation der Chargennummer in parenteralen Zubereitungen als Teil der Dispensierinformationen entfallen. Die durch die Ärzt:innen rechtlich vorgeschriebene Dokumentation läuft somit ins Leere. Haftungsfragen infolge einer automatischen Substitution sind offen.
5. Liefer- und Versorgungssicherheit sind langfristig zu sichern
Ein starker Produktionsstandort ist eine entscheidende Voraussetzung für Liefer- und Versorgungssicherheit sowie für Investitionen und Innovationen. Die dafür in Deutschland vorhandenen Kapazitäten und Expertisen dürfen nicht fahrlässig durch kurzfristig angelegte Sparmaßnahmen nachhaltig geschwächt werden. Die Folgen dieser Sparmaßnahmen und Mehrfachregulierungen waren und sind bei Generika die Abwanderung von Produktionskapazitäten und Know-how sowie eine erhebliche Marktverengung auf allen Produktionsstufen. Gerade das aber wird die im SGB V vorgesehene und ab August 2023 wirksam werdende automatische Substitution von Biopharmazeutika in Apotheken bewirken. Welche Auswirkungen diese Regeln schon bei Generika haben, verdeutlichen die kürzlich dokumentierten Engpässe bei Fiebersäften, Antibiotika und einigen Krebstherapeutika.6 Diese Fehlentwicklungen hat der Bundesgesundheitsminister bereits erkannt.
Die folgerichtige Konsequenz lautet, dass sich diese Fehler für Biopharmazeutika und die entsprechende Patient:innen-Versorgung nicht wiederholen dürfen. Dies würde zudem die Bestrebungen der deutschen Regierung sowie der EU nach größerer Autonomie und die Absicht der jetzigen Ampelkoalition konterkarieren, Deutschland zum international führenden Biotechnologie-Standort zu machen.
Ein Europa, das auf technologischen Fortschritt und auf hohe Umweltstandards bei der Produktion setzt, muss sich als Standort für die Hochtechnologieproduktion von Arzneimitteln weiter etablieren sowie die Lieferketten festigen. In diesem Sinne spricht sich auch die Ampelkoalition der Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ aus: „Wir stellen die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln und Impfstoffen sicher. Die Engpässe in der Versorgung bekämpfen wir entschieden. Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurückzuverlagern.“
Fazit
Für die Arzneimitteltherapie- und Versorgungssicherheit, insbesondere in dem sensiblen Therapieumfeld schwerwiegender chronischer Erkrankungen, ist die zentrale Rolle der Ärzt:innen essenziell. Sie müssen zum Beispiel gemeinsam mit ihren Patient:innen die Therapie und die Device-Anwendung auswählen, erläutern und überwachen. Für eine erfolgreiche Behandlung müssen Ärzt:innen ihre Therapiefreiheit und -hoheit behalten. Eine automatische Substitution in der Apotheke ist in diesem Zusammenhang weder erforderlich noch förderlich.
Der Wettbewerb im biopharmazeutischen Markt ist bereits in vollem Gang und braucht keine weiteren politischen Interventionen wie die automatische Substitution in der Apotheke. Stattdessen sollte eine nachhaltige, sichere und bezahlbare Versorgung gemeinsames Ziel aller Beteiligten zum Nutzen für Patient:innen und Gesundheitssystem sein.
Wir lehnen alle Bestrebungen ab, die automatische Substitution in jeglicher Form einzuführen:
- Für die Aufrechterhaltung der Therapiefreiheit der Ärzt:innen!
- Für ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit bei Biopharmazeutika für Patient:innen!
- Für einen resilienten Hightech-Produktionsstandort Deutschland und Europa!
1 Biologikum ist der vornehmlich im sozialrechtlichen Kontext verwendete Begriff. Er wird jedoch in der Praxis oft zu wenig spezifisch und daher irrtümlich verstanden, so z. B. auch als pflanzliches Arzneimittel. Daher ist der Begriff Biopharmazeutikum zu bevorzugen.
2 Der G-BA bezeichnet in diesem Zusammenhang Biopharmazeutika, die als Referenzprodukt für ein Biosimilar dienen, als biotech-nologisch hergestellte biologische Referenzarzneimittel, Biosimilars als im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biolo-gische Arzneimittel.
3 EMA-Dokument Biosimilars in the EU- Information guide for healthcare professionals Seite 29
4 INSIGHT Health: Ambulante GKV-Abrechnungsdaten über Fertigarzneimittel inkl. Zubereitungen in einer Pressemitteilung der Ar-beitsgemeinschaft Pro Biosimilars vom 16. Januar 2023
5 Unter Nocebo werden die unerklärbaren, negativen Effekte bei der Anwendung eines Arzneimittels zusammengefasst, die auf der Basis von Wissen und negativen Erwartungen der Patient:innen über die schädlichen Auswirkungen einer Therapie entstehen kön-nen.
6 Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 20.12.22 im Morgenmagazin (ab Minute 02:18 des Videos).:“ …wir haben be-stimmte Bereiche so Überökonomisiert, dass sich jetzt der deutsche Markt einfach nicht mehr lohnt…“
Biosimilars in Zahlen: https://probiosimilars.de/publikationen/biosimilars-in-zahlen/
Deutsche Rheuma-Liga, https://www.rheuma-liga.de/aktuelles/detailansicht/arzneimittelrichtlinie-aus-tausch-von-biologika-und-biosimilars
„Leitfaden Biosimilars“ der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, https://www.akdae.de/Arz-neimitteltherapie/LF/Biosimilars/index.html
„Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2021“, Boston Consulting Group und vfa bio, https://www.vfa-bio.de/vb-de/vb-presse/vb-publikationen
„Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, Koalitionsvertrag zwi-schen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, https://www.bundesregierung.de/re-source/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1
Stellungnahme der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) zum Referentenentwurf ei-nes Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), AMK_Apotheker.pdf (bundesge-sundheitsministerium.de)