Erfolgsfaktoren für die biotechnologische Impfstoffherstellung in Deutschland

18.02.2021

Präambel

Der Kampf gegen die Pandemie fußt u. a. auf dem Kreis der Unternehmerinnen und Unternehmer der medizinischen Biotechnologie hierzulande. Sie bilden seit gut 30 Jahren in Deutschland das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Pharmaindustrie. Sie haben meist selbst in der Forschung gearbeitet. Um ihre Entdeckungen dann in die Anwendung zu bringen und den Patientinnen und Patienten zugänglich zu machen, haben sie Start-ups gegründet und ihre Forschung und Entwicklung stetig vorangetrieben. Durch die Pandemie sind sie endlich verdient ins Scheinwerferlicht gerückt, und sie zeigen, was sie können. So leisten biotechnologische Innovationen schnell einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Infektionen.

Aus Perspektive innovativer Biotechnologieunternehmen sowie der weiteren im Branchenverband der Biotechnologieindustrie, BIO Deutschland e. V., verbundenen Unternehmen ergeben sich folgende Erfolgsfaktoren für die Impfstoffproduktion:

1. Spezialwissen und Können:

Die Kenntnisse über die biologischen Prozesse, die letztendlich zu den Impfstoffen führen, über die wir heute reden, sind hochspeziell – bei den Vektorimpfstoffen und bei den Vakzinen aus Boten-RNA (mRNA). Letzterer Ansatz ist sogar gänzlich neu. Das heißt, der mRNA-Impfstoff von BioNTech ist der erste in der westlichen Welt zugelassene COVID-19-Impfstoff. Es ist auch das erste Mal, dass ein mRNA-Wirkstoff überhaupt zugelassen wurde.

Bei Biotech-Impfstoffen, wie z. B. denen mit einem mRNA-Wirkstoff, handelt es sich um vergleichsweise neue Technologien, die als innovativer Ansatz zwar schon seit längerem entwickelt und vorangetrieben wur­den. Für sie gab es auch zu Beginn der Pandemie schon großtechnische Herstellungsprozesse, aber noch nicht ausreichend Anlagen im benötigten großen Maßstab oder eine für solche Mengen etab­lierte Lieferkette für die Roh- und Hilfsstoffe. Dabei ist es nicht nur die Ribonukleinsäure selbst, son­dern es sind auch die Hilfsstoffe auf dem Weg dahin – das heißt Plasmide, Vektoren, Enzyme, Bakteri­enstämme, Zelllinien oder Lipide – die biotechnisch hergestellt werden. Hierfür braucht es nicht nur Know-how und entsprechende Produktionsanlagen, sondern vor allem auch Fachleute und verfügbare Rohstoffe in ausreichendem Maß.

2. Größenordnung:

Ein Großteil der medizinischen Biotechunternehmen befindet sich mit den Produktentwicklungen in den klinischen Phasen, die noch weit von der Zulassung entfernt sind. Die Skalierung auf industrielle Mengen erfordert viel Know-how, Zeit und Investitionen. Auch die Anlagen dafür sind speziell und müssen finanziert, gebaut oder umgebaut, genehmigt und betrieben werden. Bisher erfolgten Investiti­onen in großtechnische biopharmazeutische Produktion trotz vielfacher Anfragen sehr zögerlich. Auch Banken sind auf innovative Biotech-Unternehmen und deren Entwicklungs- und Produktionsanliegen mit ihren Finanzierungsinstrumenten nicht vorbereitet. Diese Firmen (noch in der Produktentwicklung ohne bestehende Marktumsätze) passen nämlich nicht in die typischen Betrachtungsweisen.

Aus diesem Grund arbeiten viele Biotechunternehmen mit Auftragsherstellern, so genannten contract development and manufacturing organizations (CDMOs), und etablieren hier umfangreiche Netzwerke (Beispiel CureVac). Alternativ übernehmen sie ihrerseits einen Hersteller und integrieren ihn ins Fir­mennetz (Beispiel BioNTech Innovative Manufacturing Services GmbH - BioNTech IMFS). Die dritte Möglichkeit ist, dass die Unternehmen selbst ihre Produktion skalieren (Beispiel CureVac mit dem Bau einer eigenen industriellen Produktionsanlage in Tübingen und BioNTech mit der Übernahme des Mar­burger Werks von Novartis). Alle Wege dauern im Falle einer Pandemie zu lange und sind auch nicht ohne Schwierigkeiten.

3. Lieferketten:

BioNTech und CureVac arbeiten nach eigenen Angaben mit Herstellernetzwerken und damit für sie z. T. gänzlich neuen Lieferwegen. Die sogenannte Supply Chain ist noch nicht vollständig entwickelt und muss sich erst bewähren. Die dezentrale Herstellung kann das zentrale Skalieren in den Groß­maßstab ersetzen, stellt aber wiederum die Formulierung, Fertigstellung und Abfüllung sowie den Transport vor größere Herausforderungen.

Auch bestimmt immer das „schwächste Glied“ der Kette die Geschwindigkeit der Herstellung. Häufig sind es entweder dringend benötigte Stoffe mit geringen Gewinnspannen oder solche die auf biotech­nologischem Spezialwissen beruhen (s. o.) wie Plasmide, Vektoren, Enzyme, Bakterienstämme oder Zelllinien, die knapp werden können. Kein Glied dieser Wertschöpfungskette war bisher auf diese Mengen ausgelegt. Mit der Innovation werden auch die weiteren Wertschöpfungsglieder relevant und stärker nachgefragt. Zudem sind die Zulassungsprozesse innerhalb Europas nicht harmonisiert, und CDMOs mit mehreren Produktionsstätten müssen beispielsweise in jedem Mitgliedsstaat erneut An­träge stellen. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen Auswirkungen, wenn typische Lieferketten un­terbrochen werden, z. B. wie durch staatliche Erlasse (Defense Act, etc.), das Schließen von Grenzen oder das bewusste Bevorzugen inländischer Unternehmen.

4. Bevorratung:

Die Biotechfirmen, die sonst in kleinerem Maßstab arbeiten, sind es nicht gewohnt oder können es sich nicht leisten, sich zu bevorraten. Einige Impfstoffhersteller sind schon ein hohes Risiko eingegan­gen, in dem sie größere Mengen – at risk – vorproduziert haben, ohne zu wissen, ob das Vakzin wirkt und natürlich auch vor Erteilung der Zulassung. Vorbestellungen und Abnahmegarantien konnten nur einen Teil der Kosten decken. Die Herstellung von Produkten, die für die Impfstoffproduktion noch nö­tig sind – z. B. Plasmide – übernehmen häufig auch Biotechfirmen, die diese wichtigen Komponenten wiederum auch nicht auf eigene Kosten „auf Halde“ produzieren können.

5. Sicherheit: die Schutzbedürftigkeit in der Pandemie-Situation:

Herstellung, Lieferung, Lagerung und natürlich die Forschungs- und Produktionsdaten müssen ge­schützt werden - vor Kriminellen in der wirklichen Welt und im Cyberspace. Hierbei müssen nicht nur die Unternehmen im Kern der Herstellung wie Wirkstoffhersteller sondern auch die Zulieferer gesichert werden.

6. Verbesserungsmöglichkeiten:

  • Unkomplizierte und rasche Genehmigungen für biotechnologische Verfahren, Produkte und Anlagen sowie bestmögliche Unterstützung durch Behörden und Politik.
  • Abnahmegarantien für Zulieferer oder finanzielle Unterstützung der Impfstoffhersteller für eine umfassende Bevorratung um Risiken abzufedern und damit Nachhaltigkeit für Produktions­aufbau (Capex) und Aufrechterhaltung des Betriebs (Opex) sicherstellen.
  • Innereuropäische Harmonisierung von Produktionsgenehmigungsverfahren.
  • Sicherstellung des Zugangs zu Ausgangsstoffen innerhalb der EU, z. B. durch die Stärkung von europäischen Zulieferern.
  • Änderung von Finanzierungsmöglichkeiten von Produktionsausbau auch für Firmen, die noch in der Produktentwicklung sind und deutlich verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für In­vestitionen in Anlagen.
  • Eine grundsätzliche Unterstützung der Politik für eine starke Biotech-Branche in Deutschland (Ökosystem für Innovationsfinanzierung, sicherer Schutz geistigen Eigentums, Verbesserung der Skalierung, Fachkräfte, gezielte Förderungen von disruptiven Ansätzen trotz Risiko).
  • Bessere Planungssicherheit für unternehmerische Entscheidungen durch entsprechendes po­litisches Handeln.
  • Die direkte politische Einbindung zu biotechnologischen Themen und Entscheidungen im Rahmen der Pandemie und darüber hinaus.
  • Aufbau eines nachhaltigen Pandemie-Konzepts für Deutschland und Europa.

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