Handreichung für eine ressortübergreifende Agenda „von der Biologie zur Innovation“ (Biotechnologie-Agenda)

23.08.2018

Biotechnologie erschließt den Werkzeugkasten der Natur und schafft so überlebenswichtige Handlungsspielräume für die Menschheit. Sie hat das Potenzial, Lösungen für bestehende Herausforderungen zu entwickeln.

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag verpflichtet „die Nutzung von Prinzipien der Natur voran[zu]treiben und eine ressortübergreifende Agenda „Von der Biologie zur Innovation“ gemeinsam mit der Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft [zu] erarbeiten.“

Gerade die Biotechnologie stellt die Brücke von den Erkenntnissen der Biologie zum Einsatz dieser Erkenntnisse für Innovationen dar. Die Biotechnologie-Agenda der Bundesregierung gibt somit Leitlinien für den Einsatz der Biotechnologie in unserer Gesellschaft vor (Biologisierungspolitik), mit dem Ziel einer nachhaltigen, umweltschonenden, CO2-neutral produzierenden Wirtschaft. Die Biotechnologie-Agenda bündelt Maßnahmen auf zentralen Handlungsfeldern wie Gesundheit, Ernährung, Mobilität und Energie, um die Biologisierung der industriellen Produktion unter enger Einbindung von Akademie, Start-ups und der deutschen Industrie auf dem Weg zur Bioökonomie¹ zu begleiten und mitzugestalten. Für die Umsetzung der Biologisierungspolitik sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gemeinsam federführend.

Obwohl die Menschen bereits seit rund 10.000 Jahren Biotechnologie einsetzen, um Nahrungsmittel zu veredeln – Brot, Käse und Bier waren und sind bekannte Beispiele -, findet sich der Begriff „Biotechnologie“ erst 1919 zum erstem Mal in einer deutschsprachigen Anleitung für die Landwirtschaft. Seitdem gewinnt die Biotechnologie zunehmend auch in über die Ernährung hinausgehenden Bereichen an Bedeutung: Beispiele sind Medizin (Diabetes-, Krebs- und Rheumamedikamente), Umwelt (Kläranlagen, Waschmittel), Klima (CO2-neutrale Produktion), Rohstoffe ((abbaubares) Bioplastik) und Energie (Biokerosin). Die Nachhaltigkeit der Technologie ist in den biologischen Produktionsverfahren und in der CO2-neutrale Gewinnung und Umwandlung von nachwachsenden Rohstoffen begründet. Sie ermöglicht biobasierte Alternativen für eine Vielzahl von essentiellen Rohstoffen für eine breite Palette an Konsumgütern.

Die enormen technologischen Entwicklungen und Erkenntnisse im Rahmen der biotechnologischen Forschung der letzten 20 Jahre haben den Einsatz biotechnologischer Verfahren für eine nachhaltigere Produktion sowie Entwicklung bisher nicht dagewesener Therapieoptionen ermöglicht. Diese biotechnische Revolution steht erst am Anfang. Sie wird die Medizin weiter revolutionieren. Gerade die jüngsten Forstschritte z.B. in der Krebsmedizin (Checkpoint Inhibitoren können in einem Teil der Patienten zur Komplettremission führen; CAR-T Zelltherapien ermöglichen die gezielte Stimulation des eigenen Immunsystems gegen den Krebs, beides vor Jahren noch undenkbar) lassen erahnen, welch großes Potenzial noch in der medizinischen Biotechnologie steckt, um Fortschritte bei vielen immer noch schwer behandelbaren Krankheiten zu bringen.

Seit der Entschlüsselung des Erbguts und des Einsatzes von Verfahren der Genetik auf zellulärer Ebene haben die Erforschung und der gezielte Einsatz von biologischen Prozessen weiter Fahrt aufgenommen. Traditionelle Industrien haben durch die Anwendung biologischer Verfahren statt der herkömmlichen Technologie (Biologisierung) auf dieser Grundlage neue Möglichkeiten des nachhaltigen Wirtschaftens. Der breite Einsatz von biotechnologisch basierten Produktionsverfahren wird es ermöglichen, viele Grundstoffe und Konsumgüter, qualitativ besser und ressourcenschonender, unter Einsatz von weniger Chemikalien und CO2-sparend herzustellen. Biotechnische Verfahren können einen Großteil der Produkte ersetzen, die heute erdölbasiert hergestellt werden. Millionen Tonnen Plastik, das aus Erdöl produziert wird, kann durch Bioplastik, das aus einfachen Abfallprodukten der Landwirtschaft hergestellt wird, ersetzt werden. Solaralgen können das CO2 aus dem Rauchgas von Kohlekraftwerken in Grundchemikalien umwandeln, Biokraftstoffe der nächsten Generation können aus Holz- und Papierabfällen erzeugt werden und stehen dann nicht mehr in Konkurrenz zur Nahrungsmittelversorgung.

Biowissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Anwendung bilden das Fundament für den Aufbau einer Bioökonomie. Anders als viele andere disruptive Technologien schafft Biotechnologie hochwertige neue Arbeitsplätze und Geschäftsmodelle. Die Biotechnologie wird innerhalb vorhandener Strukturen und Industrien Arbeitsplätze verändern, sie aber nicht überflüssig machen und ist somit eine inklusive Schlüsseltechnologie. Durch das Zusammenwirken von Akademie, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie der Industrie entlang funktionierender Wertschöpfungsketten tragen alle Beteiligten zur nachhaltigen Sicherung einer leistungs- und zukunftsfähigen Volkswirtschaft in Deutschland und zur Erreichung des 3,5 Prozentziels für Forschung und Entwicklung bei. Durch Aufklärung und Bildung und durch geeignete Rahmenbedingungen kann sich das Potenzial der Biotechnologie hierzulande weiter entfalten.

Die Bundesregierung kann diesen Strukturwandel mit der Biotechnologie-Agenda gestalten und befördern und Rahmenbedingungen für die Versorgung, die Bildung, die Forschung, den Technologietransfer und das Wirtschaften in der Bioökonomie setzen. Geeignete gesellschaftliche und politische "Impulse" sollten zunächst in Ergänzung zu der seit 100 Jahren etablierten Erdöl-basierten Wirtschaft die ökologische Modernisierung voranbringen. Das Ziel ist die biologische Transformation hin zu einer wissensbasierten nachhaltigen Wirtschaft unter Reduzierung der Abhängigkeit von endlichen bei gleichzeitigem Ausbau des Einsatzes erneuerbarer Ressourcen.

Die Biotechnologie-Agenda sollte Meilensteine in der Biologisierungspolitik über die laufende Legislaturperiode hinaus rund um die Kernziele Nachhaltigkeit, Wachstum und Beschäftigung, Zugang und Teilhabe, gesundes Leben sowie Vertrauen und Sicherheit definieren. Ein wichtiger Baustein der Biotechnologie-Agenda sind die Wirtschafts- und Innovationspolitik. Sie wird gemeinsam mit Wirtschaft, Tarifpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft umgesetzt.

Deutschland hat die Möglichkeit die Biotechnologie als weiteres Standbein der Industrie zu etablieren, um das volkswirtschaftliche Potenzial dieser Technologie für eine nachhaltige innovative Wirtschaft und zum Nutzen der Bevölkerung in Deutschland zu heben.

¹ „the bioeconomy can be thought of as a world where biotechnology contributes to a significant share of economic output. The emerging bioeconomy is likely to be global and guided by principles of sustainable development and environmental sustainability. A bioeconomy involves three elements: biotechnological knowledge, renewable biomass, and integration across applications” OEDC 2009

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