Positionspapier des BIO Deutschland „Biotechnologische Alternativprodukte zu Fleisch, Fischgerichten, Eiern und Milchprodukten“

06.07.2023

Ausgangssituation

Mehr als 50 Prozent der Landesfläche wird in Deutschland landwirtschaftlich genutzt. Deshalb hat die Landwirtschaft wie kaum ein anderer Bereich großen Einfluss auf die Ökosysteme und Umwelt­güter wie Boden, Wasser und Luft. Die Intensivierung der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten ging mit hohen Nährstoffüberschüssen und dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln einher.

Dies trägt zu dem beobachteten dramatischen Insekten- und Vogelsterben bei und führt zu hohen Nitratwerten im Grundwasser und klimaschädlichen Emissionen. Gleichzeitig schreitet der Klimawandel mit seinen in immer kürzeren Abständen auftretenden Extremwetterereignissen wie Dürre, Unwetter und Starkregen weiter voran und sorgt für massive Ernteausfälle.

Die intensive Nutztierhaltung ist für mehr als 60 Prozent der Gesamtemissionen unserer Landwirtschaft verantwortlich1. In deutschen Ställen werden mehr als 212 Millionen Nutztiere auf engstem Raum gehalten, die auch mit großen Mengen importierter Eiweißfuttermittel und Getreide gefüttert werden2. Fast 60 Prozent der deutschen Getreideernte wird als Tierfutter genutzt3. Daneben stehen auch weitere Importgüter des Lebensmittelsystems wie tropische Öle (Palmöl), Kakao oder Kaffee im Zusammenhang mit Regenwald-Rodungen, deren Lieferkettenstabilität von zentraler Bedeutung ist.

Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens muss zusätzlich der Verbrauch von Kohle, Öl und Gas massiv reduziert werden. Die Industrie will deshalb sowohl auf landwirtschaftliche Anbaubiomasse als auch auf sekundäre Biomasse für unterschiedlichste Anwendungen zurückgreifen. Gebraucht werden zukünftig also nicht nur Nahrungs- und Futtermittel vom Acker, sondern vermehrt auch Rohstoffe für Baumaterialien, Chemikalien, Produkte des täglichen Bedarfs und natürlich Energie. Dieser letztere Bedarf wird zunehmend durch Rest- und Abfallstoffe aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gedeckt. Dennoch kann man davon ausgehen, dass der zusätzliche Bedarf auch zu einem steigenden Flächenbedarf führt. Wertvolle, artenreiche Biotope wie Feuchtwiesen, Brachen oder Grünland sollten dabei aber nicht weiter gefährdet werden.

Wenn unsere Lebensmittelsysteme und unsere Ernährungs- und Konsumweisen auf dem bestehenden Kurs bleiben, werden die internationalen Ziele für das Klima und die biologische Vielfalt in den nächsten Jahrzehnten verfehlt, selbst wenn es gelingt, die Auswirkungen anderer Sektoren rasch zu reduzieren oder zu beseitigen4. Wissenschaftliche Modelle zeigen, dass aufgrund der zu erwartenden Bevölkerungs- und Einkommensentwicklung bis zum Jahr 2050 die negativen Umweltauswirkungen unseres etablierten Lebensmittel­systems um 50 bis 90 % zunehmen könnten, wenn keine technologischen Veränderungen, veränderte Konsumgewohnheiten und andere gezielte Abhilfemaßnahmen ergriffen werden5.

Wir müssen unsere Ernährungs­sicherheit gewährleisten und Rohstoffe für die stoffliche Nutzung produzieren sowie unsere Landwirtschaft nachhaltig umbauen und biodiverse Rückzugsräume erhalten. Dafür müssen der Tierbesatz aber auch der Import und Export von Tieren, tierischen Produkten, Tierfutter und tropischen Erzeugnissen mit Bezug zu Regenwaldrodungen maßgeblich reduziert werden. Im besten Fall müsste v. a. der Konsum tierischer Produkte zukünftig um bis zu 80 Prozent sinken: Wurst, Steaks, Käse, Butter, Milch, Eier und Fisch müssten also auf unseren Speiseplänen reduziert werden.

Eine solche Umstellung unserer Ernährungsgewohnheiten wird nicht allein durch freiwilligen Verzicht, Verbote oder eine strenge Markt-/Preisregulation gelingen. Jeder hat unterschiedliche Essgewohnheiten und Vorlieben. Während manche einfach verzichten, wünschen sich andere Produkt-Alternativen mit bekanntem Geschmack, Textur und Funktionalität ohne Verzicht.  Dies ist nicht alleine durch pflanzliche Ersatzprodukte abbildbar. Zelluläre Landwirtschaft und Präzisionsfermentation bieten hier Lösungen. Diese Technologien stellen daher als wichtige Ergänzung der konventionellen Landwirtschaft eine notwendige Säule in einem nachhaltigen Ernährungssystem für die Zukunft mit hoher Versorgungssicherheit dar.

BIO Deutschland setzt sich daher dafür ein, politische Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass vielfältige nachhaltige, biotechnologische Alternativen zu tierischen und weiteren ressourcenintensiven Produkten ausgebaut und gefördert werden. Tierbestände in Deutschland können so reduziert und Lieferketten entlastet werden, während gleichzeitig der Industriestandort Deutschland gestärkt wird. Zelluläre Landwirtschaft und Präzisionsfermentation sollen als ergänzende Säule im Lebensmittelsystem in das gesamtheitliche Konzept der Ernährungsstrategie der Bundesregierung mit aufgenommen werden.

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