Positionspapier des BIO Deutschland e. V. "Von Wissenschaft zu Wirtschaft Technologietransfer und Translation ausbauen - 2024"
17.12.2024
1. Einleitung
Dieses Positionspapier umfasst aktuelle Kernforderungen der Technologietransfer-Expertinnen und -Experten des Biotechnologie-Branchenverbands BIO Deutschland e. V. zur Verbesserung des Transfers von Forschungsergebnissen in die Anwendung. Die Biotechnologie-Branche ist hochinnovativ, gründergetrieben und kapitalintensiv. Technologietransfereinheiten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen nehmen eine unverzichtbare Rolle bei der Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen ein. Viele Akteure in Deutschland können und müssen das Gelingen des Technologietransfers beeinflussen. Daher enthält dieses Positionspapier Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung, die Länderregierungen, Akademia und die Industrie.
2. Kernforderungen und Handlungsempfehlungen zur Förderung des Technologietransfers
2.1. Innovations- und Gründungskultur an Hochschulen und Forschungseinrichtungen stärken
- Förderung des Kulturwandels hin zu unternehmerischer Denkweise und mehr Risikobereitschaft bei akademischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
- Förderung von gemeinsamen Karrierewegen und Kooperationen zwischen Akademia und Industrie.
- Vereinfachung von Nebentätigkeitserlaubnissen und Freistellung für wirtschaftliche Tätigkeiten akademischer Forscherinnen und Forscher.
2.2. Etablierung und Stärkung des Technologietransfers als „Third Mission“ an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Budgetvorgaben für die Grund- und Projektfinanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollten erweitert werden, sodass zusätzlich 5 % für Technologietransfer und 5 % für Validierungsstudien vorgesehen werden.
- Ermöglichung von Ausnahmen vom Besserstellungsverbot, um professionelles, erfahrenes Personal für den Technologietransfer zu gewinnen und zu halten.
- Einführung von Technologietransfer-Kennzahlen (Anzahl an Industriekooperationen, Patente/-anmeldungen, Lizenzierungen und Ausgründungen, Vorhandensein von Inkubatoren etc.) als Qualitätsmerkmal von Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
2.3. Rahmenbedingungen schaffen, um Finanzierung und Wachstum von Ausgründungen zu erleichtern
- Bestehende Förderprogramme für Gründungswillige beibehalten und ausbauen.
- Steuerliche und rechtliche Rahmenbedingungen für Venture Capital (VC) Fonds und private Investoren attraktiver gestalten.
- Pensionskassen und Krankenversicherungen ermöglichen, in größerem Maße in die Biotechnologie zu investieren.
3. Begründung der geforderten Maßnahmen für eine Verbesserung des Translations- und Biotech-Standorts Deutschland
3.1. Warum und wie Innovations- und Gründungskultur an Hochschulen und Forschungseinrichtungen stärken?
Für viele Promovierende oder Postgraduierte an naturwissenschaftlichen Fakultäten ist die potenzielle Patentierung und Verwertung von Forschungsergebnissen kaum ein oder kein Thema. In der Regel steht der dringende Wunsch, hochrangig zu publizieren, an erster Stelle. Ein Grund dafür ist, dass in der Lehre dieser Fakultäten wirtschaftliche und unternehmerische Aspekte von Forschung und Entwicklung nur selten vorkommen. Ausnahmen davon gibt es auch in Deutschland, z. B. an der TU München oder der TU Darmstadt. Angebote, die das unternehmerische Denken fördern und Lust darauf machen, den wissenschaftlichen Pfad (evtl. auch nur vorübergehend) zu verlassen und neuartige Forschungsergebnisse in Innovation zu überführen, müssten in der Lehre standardmäßig angeboten werden. So könnte ein Perspektivenwechsel geschafft und der Fokus auch auf die Verwertung gelenkt werden.
Das Informationsangebot zu erhöhen allein, wird aber nicht ausreichen, um die Innovations- und Gründungskultur zu verbessern. Forscherinnen und Forscher stehen der Industrie auch häufig skeptisch gegenüber, es gibt zum Teil ausgeprägte Berührungsängste. Ein Wechsel in die Industrie wird als eher riskant angesehen, obwohl die akademische Karriere in den meisten Fällen ungewiss ist. Zudem ist es schwierig bis unmöglich, z. B. für einen gewissen Zeitraum in die Industrie, z. B. in ein Spin-out oder etabliertes Unternehmen zu wechseln und dann in die Akademia zurückzukehren. Damit dieser Weg bzw. Wechsel vermehrt von akademischen Forscherinnen und Forschern beschritten werden kann, muss das Aufnehmen von wirtschaftlicher (Neben-)Tätigkeit gesetzlich erleichtert werden. Bayern z. B. hat die Voraussetzungen dafür nun geschaffen und gewährt „eine Freistellung unter Belassung der Dienstbezüge im Umfang von in der Regel zwei Semestern für Professorinnen und Professoren auch für wirtschaftliche Tätigkeiten, einschließlich Unternehmensgründungen” (BayHIG, Art. 61 (2)).
Wie schon oben beschrieben, ist die Liste der Publikationen die wichtigste Währung („Publikationsdruck“) für Forscherinnen und Forscher, um in der Karriere voranzukommen. Diese über Jahrzehnte etablierte Messgröße für akademischen Erfolg verlangt von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine einseitige Fokussierung auf die Verwertung von Ergebnissen in Publikationen. Bei wenigen Hochschulen und Forschungseinrichtung werden bei Berufungen und Stellenvergaben auch Kooperationen mit der Industrie oder Patente als Kriterien schon herangezogen. Diese Praxis sollten sich mehr Hochschulen zu eigen machen, weil sie dazu beitragen kann, Anreize für die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen zu schaffen.
Kooperationen von Industrie mit der Akademie bestehen natürlich auch in Deutschland. Erfolgreiches Beispiel ist die beLAB2122 BRIDGE zwischen dem Deutschen Krebsforschungszentrum, EMBL, den Universitäten Heidelberg, Frankfurt und Tübingen sowie den Unternehmen Evotec und Bristol Myers Squibb. Kooperationen wie diese ermöglichen gemeinsame Karrierewege zwischen Akademia und Industrie, und Vertrauen aufzubauen. Vergleichbare Kooperationen sollten ausgebaut und gefördert werden.
3.2. Warum und wie die „Third Mission“ an Hochschulen und Forschungseinrichtungen etablieren und stärken?
An den meisten deutschen Hochschulen und einigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen einen untergeordneten Stellenwert. Die „Third Mission” der Hochschulen als dritte Säule neben Forschung und Lehre spielt keine oder eine geringe Rolle und Technologietransferabteilungen sind personell und finanziell nicht gut ausgestattet. Das Besserstellungsverbot schließt aus, im Technologietransfer erfahrenes Personal mit Industriehintergrund zu gewinnen und zu halten. Die Länder sollten daher der Third Mission an ihren Hochschulen einen deutlich höheren Stellenwert einräumen und das Besserstellungsverbot für bestimmte Personalentscheidungen ähnlich wie bei SPRIND-Freiheitsgesetz lockern. Nur so können sich an den Hochschulen erfahrene und professionelle Technologietransfereinrichtungen etablieren.
Die Vorbereitung und erfolgreiche Durchführung von Kommerzialisierungsaktivitäten durch Technologietransferstellen sind aufwändig. Sie umfasst Gespräche mit Forschenden zur Sensibilisierung und Identifikation von Erfindungen sowie deren Prüfung auf Patentfähigkeit und Marktpotenzial. Bei Gemeinschaftserfindungen werden Verwertungsvereinbarungen mit den jeweiligen Partnern getroffen. Nach der Prüfung schützt und vermarktet der Technologietransfer die Erfindungen, oft durch Patentanmeldungen, die national und international bis zur Erteilung begleitet werden. Die Vermarktung beinhaltet die Erstellung zielgerichteter Materialien, das Verhandeln von Lizenz- oder Kooperationsverträgen sowie die Unterstützung von Gründungswilligen, etwa durch Businessplan-Erstellung, Managementsuche und Investorenakquise. Für diese zahlreichen, unverzichtbaren Aktivitäten der Technologietransferstellen ist allerdings in Deutschland in den seltensten Fällen ausreichend Budget vorhanden.
Um die chronische Unterfinanzierung des Technologietransfers an Hochschulen zu verbessern, sollte deshalb das grundfinanzierte Budget und Förderprogramme so erweitert werden, dass mindestens 5 % für die Technologietransfer-Infrastruktur und 5 % für Validierungs-Studien zusätzlich vorgesehen werden. Das Gleiche gilt für projektbezogene Finanzierungen. Auch hier sollte ein Budget für den Technologietransfer explizit vorgesehen sein. Ein Teil dieses Budgets könnte z. B. für Fellowships eingesetzt werden, die den Austausch zwischen Technologietransfer-Expertinnen und -Experten ermöglichen.
In wenigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden Patente und Ausgründungen schon als Qualitätsmerkmal eingesetzt. Das Ranking und die Reputation von Hochschulen und Forschungseinrichtungen wird hierzulande aber immer noch wesentlich an der Zahl der Publikationen bemessen. Um den Transfer zu verbessern, sollten auch Technologietransfer-Kennzahlen eingeführt werden. Diese könnten z. B. die Zahl von Kooperationen mit der Industrie; die Zahl von Patenten und Lizenzierungen oder die Zahl von Gründungen abbilden. So würde der Transfer als Qualitätsmerkmal mehr in den Fokus gerückt werden, wie es z. B. in Ländern wie den USA oder UK schon üblich ist.
3.3. Warum und wie Rahmenbedingungen schaffen, um Finanzierung und Wachstum von Ausgründungen zu erleichtern
Gründungswilligen stehen staatliche Förderprogramme zur Verfügung. Das EXIST-Programm des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) ist für Gründungswillige aus den Lebenswissenschaften mittlerweile ein wichtiges Förderinstrument geworden. Das für Projekte aus der Biotechnologie besonders zugeschnittene Förderprogramm „Gründungsoffensive Biotechnologie“, kurz GO-Bio, war für sechs Jahre eingestellt und wurde erst im Frühjahr 2024 wieder aufgelegt. Ebenso wurden die Programme KMU innovativ Bioökonomie und Biomedizin für einige Zeit ausgesetzt, sind aktuell aber wieder offen. Aufgrund der seit November 2024 unsicheren Haushaltslage besteht die Sorge, dass Programme zwischenzeitlich erneut eingestellt werden könnten. Verlässlichkeit und Stabilität von Förderprogrammen sind allerdings für Gründungswillige und Start-ups unabdingbar. Die genannten Programme müssen daher dringend beibehalten werden.
Die Bundes-Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) unterstützt Gründungen auf Basis vielversprechender disruptiver Erfindungen. Durch das SPRIND-Freiheitsgesetz wurden die Bedingungen für die Agentur deutlich verbessert. Die im Koalitionsvertrag 2021 beschlossene Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) befindet sich noch in Gründung. Sie soll Innovationscommunities auf regionaler Ebene fördern. Wie die Ausgestaltung und Zielsetzung dieser Agentur schlussendlich sein werden, ist noch nicht bekannt, außer dass sie an Exzellenz orientiert sein soll und den ursprünglichen Fokus auf HAWs als Antragsteller verloren hat. Für die DATI lässt sich also noch nicht absehen, ob dieser Förderansatz sinnvoll sein kann. Grundsätzlich plädiert BIO Deutschland aber dafür, etablierte und erfolgreiche Strukturen und Abläufe zu unterstützen, anstatt neue Agenturen oder Strukturen zu etablieren.
Ist die Gründung geschafft und die Frühphasen-Finanzierung in trockenen Tüchern, stellt sich für viele Start-ups aus der Biotechnologie die Frage, wie die dringend notwendige Anschluss- und Wachstumsfinanzierung eingeworben werden kann. Im Gegensatz zu Gründungen aus der Dienstleistungsbranche ist Forschung und Entwicklung in der Biotechnologie kostenintensiv, risikobehaftet und langwierig. Fremdkapital (Darlehensfinanzierung) stellt für Start-ups sowohl aus der Therapieentwicklung als auch aus der industriellen (weißen) Biotechnologie in der Regel keine Finanzierungsoption dar. Diese Tatsache bzw. der daraus resultierende Handlungsbedarf hat in den letzten Jahren auch politische Entscheidungsträger erreicht.
So gab es in der letzten Zeit einige Gesetze und Ankündigungen, die diesem Bedarf für Eigenkapital-Finanzierungen durch Venture Capital Fonds, Business Angels oder Family Offices Rechnung tragen. Mit dem im Juni 2024 aufgelegten HTGF Opportunity Fonds unterstützt das BMWK jetzt junge und wachsende Unternehmen aus dem HTGF-Portfolio.
Mit der WIN-Initiative hatte sich im September 2024 ein Bündnis von Wirtschaft, Verbänden, Politik und der KfW zum deutschen Finanzstandort und zur Förderung von Start-ups, Innovation und Wagniskapital in Deutschland bekannt. Vereinbart wurde ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wachstums- und Innovationskapital in Deutschland. Zugleich wollen die teilnehmenden Unternehmen rund zwölf Mrd. Euro bis 2030 in die weitere Stärkung des deutschen Venture Capital-Ökosystems investieren. Der 10-Punkte Maßnahmenplan der Initiative enthält wichtige Ansätze, um Wachstumskapital zu mobilisieren, z. B. es kleinen Versicherern und Pensionskassen zu erleichtern, in ertrag- und risikoreiche Anlagenklassen wie VC zu investieren, die Etablierung von Wachstums- und Innovationskapital als Anlageklasse für vermögende und andere Privatpersonen oder die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen in Wachstums- und Innovationskapital. Denn in Ländern, wie den USA, steht unter anderem deshalb mehr Venture Kapital zur Verfügung, da Pensionskassen und Versicherungen in die Assetklasse Biotechnologie investieren können. In Frankreich sind Investitionen von Privatpersonen in Hightech Assets steuerlich begünstigt. Ob ein Investor in ein Start-up investiert wird auch dadurch beeinflusst, ob es Möglichkeiten für einen späteren Exit über die Börse gibt. So will die WIN-Initiative auch die Bedingungen für IPOs weiter verbessern. Denn um ein funktionierendes Finanzmarktökosystem in Europa zu schaffen, muss es den IPO als Exitkanal geben, nicht nur in den USA, sondern auch hier. Die WIN-Initiative sollte unbedingt weiter verfolgt werden, da sie sehr wichtige Finanzierungs-Ansätze für Biotechnologie-Unternehmen enthält.