Positionspapier zum Thema Einführung einer Neuheitsschonfrist in Europa

04.11.2013

Der Branchenverband der Biotechnologieunternehmen, die Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland e.V. (BIO Deutschland), fordert die Einführung einer Neuheitsschonfrist mit folgenden Eckdaten:

  • Dauer: 12 Monate
  • Umfang: nicht neuheitsschädlich ist eine (jede) Offenbarung einer Erfindung, die unmittelbar oder mittelbar auf den Anmelder oder seinen Rechtsvorgänger zurückzuführen ist
  • Anwendungsgebiet: Europäische Union bzw. die Mitgliedsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens

Der Innovationsstandort Deutschland bietet derzeit ein ambivalentes Bild. Auf der einen Seite ist das Niveau der wissenschaftlichen und technologischen Leistungsfähigkeit hoch. Diese Leistungskraft resultiert aus einer exzellenten Forschungslandschaft sowie dem größten Anteil an innovativen Unternehmen in der Europäischen Union.1 Auf der anderen Seite bleibt die technologische Umsetzung in Produkte hinter ihren Möglichkeiten zurück. Deutschland ist imInnovationswettbewerb nicht schlechter geworden, andere Länder agieren jedoch weit dynamischer.

Die Implementierung kompetitiver innovationsfördernder Rahmenbedingungen ist daher für den zukünftigen Erfolg des Standorts Deutschland im internationalen Wettbewerb entscheidend. Es geht insbesondere darum, dass Fortschritte in Forschung und Technik gerade in den Schlüsseltechnologien - wie der Biotechnologie - schnell in Marktvorteile der Unternehmen umgesetzt werden. Dafür brauchen wir ein wettbewerbsfähiges Patentrecht, gerade auf EU-Ebene, das den Patentschutz angemessen stärkt und dem wachsenden Ideendiebstahl durch Plagiate und Patentverletzungen entgegentritt.

Ein oft vernachlässigter aber wesentlicher Baustein eines innovationsfreundlichen Patentrechts ist die Sicherung von Ergebnissen der Grundlagenforschung für die Anwendung. Hier besteht großer Verbesserungsbedarf im Hinblick auf neuheitsschädliche Vorveröffentlichungen durch die Erfinder.

Eine von BIO Deutschland durchgeführte Mitgliederumfrage befürwortet die Einführung einer Neuheitsschonfrist mit 65%. Darüber hinaus zeigt die in Auftrag gegebene Patentrecherche, dass knapp 7% der europäischen und internationalen Patentanmeldungen von Universitäten, Forschungsinstituten und dgl., die im Zeitraum von 1999 bis 2000 publiziert wurden, wohl aufgrund von neuheitsschädlichen Vorveröffentlichungen der Erfinder, die in einen Zeitraum von einem Jahr vor dem prioritätsbegründenden Anmeldetag fallen und vor dem Anmeldetag dem Anmelder noch nicht bekannt waren, fallen gelassen oder zurückgewiesen wurden. Nicht erfasst sind dabei die Erfindungen, die aufgrund fehlender Neuheitsschonfrist gar nicht erst angemeldet wurden. Die Zahl dieser nicht erfassten / nicht recherchierbaren Erfindungen, die mangels Patentschutz in Europa nicht angemeldet wurden, ist sicher hoch – wahrscheinlich ähnlich hoch wie der Grad der Ausnutzung der Neuheitsschonfrist bei Patentanmeldung in den USA (ca. 20 %).

Die Einführung einer Neuheitsschonfrist in Europa, wie sie in anderen wirtschaftlich erfolgreichen Nationen (z. B. USA oder Japan) seit langem existiert, kann hier schnelle und kostenneutrale Abhilfe schaffen. Gerade für Deutschland ergibt sich ein erhebliches Potential, da bei uns eine starke Grundlagenforschung die Basis für eine Vielzahl von Ideen schafft. Um die Überführung dieser Ideen von der Wissenschaft zum Anwender zu fördern, bedarf es eines sicheren Schutzes der Forschungsergebnisse.

Zusätzlich verlangen neuere Rechtsentwicklungen im Bereich der klinischen Prüfungen die frühzeitige Offenlegung von Daten, die eine spätere Patentierung der Erfindung unmöglich machen. Dies ist ein weiterer wichtiger Grund für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und die pharmazeutische Industrie insgesamt, die Einführung einer Neuheitsschonfrist in Europa voranzutreiben.

Die Bedeutung von Kooperationen zwischen KMUs und der Großindustrie nimmt an wirtschaftlicher Bedeutung stetig zu. In einer Ende 2011 veröffentlichten Studie von accenture wird festgestellt, dass 60% aller Innovationen außerhalb der Großindustrie entwickelt werden. Dieser Anteil erhöht sich sogar auf 82% bezüglich neuer biologischer Therapeutika.2

Darüber hinaus ergibt sich durch die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa auch im Hinblick auf die Stärkung internationaler Schutzrechte ein zusätzliches politisches Momentum3, wie auch der Verband der chemischen Industrie (VCI) in einer Stellungnahme in 2013 feststellt4. Parallel dazu sollte die internationale Harmonisierung des Patentrechts bei der Einführung der Neuheitsschonfrist in Europa nicht außen vor gelassen werden (die USA und Japan haben sie).5

Aus den oben genannten Gründen hat BIO Deutschland einen Vorschlag entwickelt, wie die Neuheitsschonfrist in Europa in das bestehende Rechtssystem integriert werden kann.

1 Eurostat Pressemitteilung 11. Januar2013: Siebte Gemeinschaftliche Innovationserhebung (http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/9-11012013-AP/DE/9-11012013-AP-DE.PDF)
2 Accenture: The Future of Pharmaceutical Innovation - Tackling the R&D Productivity Gap, p.3 (December, 2011)
3 Ebenso die Internationale Vereinigung für den Schutz Geistigen Eigentums (AIPPI) in: Ehlers/Hahner/Henke/Königer, Bericht der Deutschen Landesgruppe für den Geschäftsführenden Ausschuss der AIPPI vom 5. bis 11.09.2013 in Helsinki, GRUR Int. 8-9/2013, S. 759 ff.
4 Verband der chemischen Industrie (VCI), Fragen und Antworten der chemischen Industrie zu TTIP, vom 2.08.2013, S. 9
5 Gleiches verfolgten die Unterzeichner des Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (sog. TRIPS-Abkommen) ebenso wie die World Intellectual Property Organisation (WIPO)

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