Positionspapier zum Thema Innovationsfinanzierung mit "Chancenkapital"

22.05.2019

1. Biotechnologieunternehmen fehlt in Deutschland wichtiges Chancenkapital für ihre Wachstumsphase

Deutschland weist in wesentlichen Teilen der Innovationsfinanzierung strukturelle Schwächen auf. Das hat BIO Deutschland bereits mit den Positionspapieren zur Innovationsfinanzierung in Deutschland und zur Verbesserung der Finanzierung des innovativen Mittelstandes herausgearbeitet. Unmittelbare staatliche Finanzierung in Form von steuerlicher Forschungsförderung oder Projektförderung durch den Staat mit Steuergeldern ist wertvoll und auch der INVEST Zuschuss sollte weiter ausgebaut werden. Erschwerend wirkt besonders für KMU die Unübersichtlichkeit der staatlichen Förderprogramme auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. Nachhaltig wirksamer und fiskalisch sinnvoller wäre es aber, privates Kapital stärker zur Innovationsfinanzierung zu gewinnen. Dazu stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) richtig fest, dass „trotz der internationalen Aufmerksamkeit für die deutsche Start-up-Szene der deutsche Wagniskapitalmarkt im internationalen Vergleich und im Verhältnis zur deutschen Wirtschaftskraft zu klein“ ist. Die Bundesregierung hat deshalb verschiedene Finanzierungsinstrumente auf den Weg gebracht, um Deutschland für Wagniskapital attraktiver zu machen. Dabei sind die Maßnahmen, die in der Gründungsphase unterstützen, überwiegend positiv zu bewerten. In der Wachstumsphase sind aber gerade forschungsintensive Biotechnologieunternehmen benachteiligt, da sie einen langfristigen hohen Kapitalbedarf haben. Lediglich der ERP/EIF-Dachfonds sowie die ERP-Venture Capital Fondsfinanzierung und KfW Capital adressieren den Bedarf der Branche in ersten Ansätzen. Bei den vom BMWi auf den Weg gebrachten Finanzierungsinstrumenten fehlen immer noch Anreize, die geeignet sind, größere Volumina an privatem Kapital für die Innovationsfinanzierung zu gewinnen.

2. Von der Forschung über die Entwicklung in den Markt

Forschungsergebnisse rasch kommerziell zu verwerten, bildet einen wichtigen Pfeiler der Innovationskraft einer Gesellschaft. „Sprunginnovationen“ müssen in einem global konkurrenzfähigen Zeitrahmen vermarktungsfähig gemacht werden. Neu gegründete „Start-up“ Unternehmen in den USA und China schaffen es in deutlich kürzerer Zeit, Forschungserkenntnisse erfolgreich zu marktfähigen Produkten zu entwickeln. Besonders in weitgehend staatlich regulierten Märkten wie beispielsweise dem für medizinische Diagnostika oder neue diagnostische Verfahren sind die Hürden für den Markteintritt und damit das Risiko für Kapitalgeber hoch.

3. Andere Regionen haben wesentlich bessere Rahmenbedingungen für die Finanzierung von Innovationen

Anders als in anglo-amerikanischen Ländern fehlt in Europa weitgehend das finanzielle Ökosystem der Innovationsfinanzierung, da die Entwicklungs- und Wachstumsfinanzierung durch Eigenkapital kaum verfügbar ist. Geschäftsmodelle wie Google, Facebook, Amazon, Tesla und im Bereich der Biotechnologie Genentech, Kite, Bluebird, Amgen, Gilead, Biogen und andere, die Paradigmen verändern, sind ohne ein Vielfaches an privatem Chancenkapital für die Finanzierung der Entwicklung undenkbar. Die Finanzierung solcher Unternehmen erfolgt durch von Investoren bereitgestelltes Eigenkapital (Venture Capital - VC oder Chancenkapital), die Investoren werden Gesellschafter oder Mitgründer dieser Unternehmen. Nur durch bessere Bedingungen für Risikokapitalgeber und/oder Börsengänge in frühen Unternehmensphasen kann hier versucht werden Chancengleichheit herzustellen.

4. Handlungsoptionen

Durch das in Europa übliche Altersversorgungssystem auf Umlagebasis fehlt eine wesentliche Basis der Kapitalakkumulation, die vor allem in den USA die Grundlage für ein sehr produktives Ökosystem der Chancenkapitalfinanzierung bildet. Das betrifft das klassische VC-Kapital in der Frühphase und institutionelle Investoren, die bei börsennotierten Unternehmen in innovative Entwicklung investieren. Diese eröffnen den in der Frühphase aktiven VC Investoren die Möglichkeit, die eingesetzten Mittel über den Börsengang mit Gewinn zurückzuholen und bieten den Wachstumsunternehmen an der Börse die Finanzierung bis zur Marktreife oder Marktdurchdringung.

Es ist sehr viel Vermögen und Kapital in Deutschland und Europa vorhanden, welches Anlage-möglichkeiten sucht. Versicherungen, Pensionsfonds und Privatpersonen können durch umfassende Kapitalbereitstellung zur Innovationskraft beitragen. Mögliche Strategien sind:

4.1. Anreize zur Investition in VC / Chancenkapital

Es bedarf staatlicher Flankierung, um private Investitionen in Chancenkapital attraktiver werden zu lassen. So könnte mit geeigneten Maßnahmen privates Geldvermögen zu Chancenkapital werden. Das Geldvermögen der privaten Haushalte belief sich zum Ende des ersten Quartals 2018 auf rund 5.875 Milliarden Euro. Ansatzpunkte:

  • Schaffung der gesetzlichen Möglichkeiten für deutsche/europäische Kapitalsammelstellen, in Chancenkapital zu investieren. Dies betrifft sowohl die Anlage über VC-Fonds in private Unternehmen, aber auch die Vergabe von Geld an börsennotierte Unternehmen durch institutionelle Investoren. In der nach 2008-Ära ist es Fonds zum Teil verboten, in entsprechende Chancenkapitalklassen zu investieren.
  • Steuerliche Anreize insbesondere durch Verrechnung mit anderen Einkünften oder Freistellung künftiger Gewinne für Privatinvestoren, wenn sie in die Anlageklasse Chancenkapital investieren. Dies sollte sowohl im VC-Bereich (vorbörslich), wie auch über die Börse (Entwicklungs- und Wachstumsfinanzierung) funktionieren. Ebenso kann eine Ausweitung des INVEST-Zuschuss für Wagniskapital genutzt werden.


4.2. Schaffung von geeigneten Kapitalsammelstellen

Die Kernidee besteht darin, den hohen volkswirtschaftlichen Cash-flow zur Zukunftsgestaltung und damit
-sicherung zu nutzen. Dies wird zur Unterstützung der jungen, innovativen Unternehmen durch folgende Modelle umgesetzt: Innovationsfonds Norwegen (Gewinne aus Erdgas- und Erdölgeschäften), Future Fund Australien (Sammlung von Exportüberschüssen), US-Krankenversicherungen, Calpers (Kalifornien): (Versorgungsfonds der öffentlichen Angestellten Kaliforniens mit einem Volumen von 300-400 Milliarden USD), TIAA (US-Pensionsfonds von Lehrern und Professoren) , Swiss Entrepreneurs Foundation (Stiftung für einzelne Jungunternehmen) und das dänische Fondsmodell.

Neben der Größe der Fonds sind auch staatliche Unterstützungen oder Garantien wie beim dänischen Fondsmodell möglich, um den Marktteilnehmern eine bessere Verbindung mit den bisherigen Strukturen zu ermöglichen.

4.3. Ein gewinnbringender Weg für Deutschland: Dritte Säule der Altersversorgung durch einen „Zukunftsfonds Deutschland/Europa“

Ergänzend zu dem aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen gespeisten Umlagesystem sowie der über „Riesterrente“ und ähnliche Instrumente gespeisten, aber wenig rentablen zweiten Säule der Eigenvorsorge, könnte eine dritte Säule stärker kapitalmarktorientiert aufgestellt werden. Ziel wäre es, Anlagegelder aus freiwilligen arbeitgeber-/arbeitnehmerfinanzierten Programmen in einem Innovationsfonds zu bündeln, der breit in neue technologische Arbeitsfelder investiert und sich dabei auch an Start-Up Unternehmen sowie an der Entwicklungs- und Wachstumsfinanzierung gereifter, börsennotierter Unternehmen beteiligt. Es wäre beispielsweise vorstellbar die betriebliche Altersversorgung auf eine noch breitere Basis zu stellen und ihr entsprechende Investitionen zu erlauben. Bei einer angemessenen Streuung in verschiedene Branchen und Unternehmen lässt sich hier ein gutes Chancenprofil erschließen. In den USA ist eine solche Möglichkeit bereits mit Altersvorsorge-Fonds, u. a. von öffentlichen Angestellten, erfolgreich umgesetzt.

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