Stellungnahme des BIO Deutschland e. V. zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz)
04.09.2023
1. Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Biotechnologie-Industrie
Innovative Unternehmerinnen und Unternehmer sorgen als Technologietreiber dafür, dass Innovationen in der Volkswirtschaft in der Breite zur Wertschöpfung beitragen. Und sie schaffen Arbeitsplätze. Die Biotechnologieunternehmen in Deutschland sind solche forschenden mittelständischen Unternehmen. Sie tragen entscheidend zur Wertschöpfung z. B. in den Bereichen Gesundheit und Lebensmittel sowie bei der Produktion von Alltagsprodukten hierzulande bei.
Der Biotechnologie kommt nicht nur durch ihren wirtschaftlichen Wert für den Standort Deutschland eine besondere Bedeutung zu. Es gibt kaum ein aktuelles Problem in den Feldern Gesundheit, Nahrung, Umwelt, Klima und Energie, zu dessen Lösung Biotechnologie keinen nachhaltigen Beitrag leisten kann. Ob Chemie, Pharma, Energie, Werkstoffe und Material: Die Biologisierung der traditionellen Industrien ist nicht mehr aufzuhalten.
Das Zukunftspotenzial der deutschen Wirtschaft im Hinblick auf Produktivitätswachstum und Wertschöpfung liegt insbesondere bei Unternehmen, die neue Technologien entwickeln und diese als Basis für ihr zukünftiges Geschäftsmodell nutzen. Insbesondere sind das auch KMUs und midcap Biotechunternehmen. Diese Unternehmen sind durch ihr wissensbasiertes Geschäftsmodell und der Orientierung an neuen Verfahren und Methoden in der Lage, langfristiges Produktivitätswachstum und Nachhaltigkeitsziele in Einklang zu bringen. Gleichzeitig stehen diese Unternehmen im harten internationalen Wettbewerb mit den USA, China, Korea, Schweiz und anderen europäischen Ländern, die neben besseren strukturellen Rahmenbedingungen und teils massiven Fördermaßnahmen nationalen Unternehmen deutliche Wettbewerbsvorteile verschaffen, um globale Champions auszubilden.
2. Bewertung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung
BIO Deutschland begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf grundsätzlich sehr. Mit dem Gesetzespaket werden wichtige Themen zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland aufgegriffen. BIO Deutschland ist im Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) organisiert und stimmte bereits den Rückmeldungen des BDI zum Referentenentwurf aus dem Juli grundsätzlich zu. Im Folgenden sollen dennoch einige Punkte kommentiert werden, die für die Biotechnologie-Industrie von spezieller Wichtigkeit sind.
2.1. Investitionsprämie
BIO Deutschland begrüßt, dass die bereits im Koalitionsvertrag als sog. Super-AfA vereinbarte steuerliche Förderung von Klimaschutzinvestitionen nunmehr umgesetzt werden soll. Leider ist der Fokus der Investitionsprämie zu sehr auf Energieeffizienz bezogen, so dass hier deutlicher Anpassungsbedarf besteht. Zur Stärkung der Eigenkapitalsituation und der Investitionsfähigkeit ist dringend eine Verkürzung der Abschreibungszeiten beweglicher und unbeweglicher Wirtschaftsgüter notwendig, um zusätzliche Liquidität zu generieren, die für weiteres Wachstum investiert werden kann. So kann in der medizinischen Biotechnologie aber auch in anderen Bereichen der Bioökonomie technologische Souveränität und Skalierung in den industriellen Maßstab erreicht werden.
Investitionen in die industrielle Biotechnologie bzw. Bioökonomie sind zudem strategisch ausgerichteter Klimaschutz. Die Transformation hin zu einem treibhausgasneutralen Deutschland ist ohne industrielle Biotechnologie nicht denkbar. Diese ist ein zentraler Faktor, um Innovationen in Märkte zu integrieren und gleichzeitig zur Entlastung der Umwelt beizutragen. Als Schlüsseltechnologie unterstützt die industrielle Biotechnologie Entwicklungen, die zu mehr Rohstoff-, Ressourcen-, Material- und Energieeffizienz führen und somit die zirkuläre Wirtschaft stärken.
Gebraucht werden integrierte Pilot- und Demonstrationsanlagen, in denen die Produktionsprozesse von der Lagerung des Rohstoffs über die Vorbehandlung, Verarbeitung und Aufbereitung hinweg durchgeführt werden können, und dies kontinuierlich 24/7. Dabei müssen nicht nur die Energiebilanz, sondern auch der Wasserbedarf sowie die Reinigung, Rückführung bzw. Rückführbarkeit von Wasser- und Nebenprodukten (fest, flüssig, gasförmig) berücksichtigt und ggfs. optimiert werden. Nur durch die Berücksichtigung dieser Einflussfaktoren kann das Ziel der Kostenoptimierung für die Produktionsprozesse erreicht werden. Letztendlich werden die Entscheidungen der Industrie über die Einführung von Technologien auf den Kosten und dem erwarteten Markt basieren. Dazu gehören sowohl die Herstellungskosten als auch die indirekten Kosten (CO2-Abgabe; Mandat für biologisch abbaubare bzw. biobasierte Produkte; social impact).
Die Investitionen in Pilot- und Demonstrationsanlagen sollten ebenfalls durch die Investitionsprämie abgedeckt werden. Die vorgeschlagene Ausgestaltung des Energieaudits ist in diesem Kontext nicht praxisgerecht und bedarf dringend einer Nachbesserung.
2.2. Aussetzung der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG)
Grundsätzlich ist die Anhebung der Prozentgrenze bei der sogenannten Mindestgewinnbesteuerung von derzeit 60 Prozent temporär auf 70 Prozent begrüßenswert, eine Aussetzung der Mindestbesteuerung bzw. eine komplette Abschaffung wäre nicht nur für die Biotechnologie innovationsdienlicher, sondern würde generell die Liquidität – insbesondere der durch die Wirtschaftskrise betroffenen Unternehmen – deutlich entlasten. Die Mindestbesteuerung wirkt sich negativ auf die Finanzierung biotechnologischer Geschäftsmodelle aus: Während der Forschungsphase kommt es bei Biotechnologieunternehmen nicht selten vor, dass sie ihr geistiges Eigentum gegen Lizenzzahlungen vermarkten, um Liquidität zu erhalten. Sofern ein verlustschreibendes forschendes Unternehmen ein Patent auslizensiert, geht dies mit Ertragsspitzen einher, welche eine Mindestbesteuerung auslösen. Im Falle solcher Ertragsspitzen kommt es auch bei anhaltenden Verlustsituationen zu Steuerzahlungen und damit de facto zu einer Substanzbesteuerung.
BIO Deutschland unterstützt den vom BDI vorgeschlagenen Kompromiss nach 2027 die Mindestbesteuerung von Erträgen über € 10 Mio. (anstelle von € 1 Mio.) und einem geringeren Anteil von 10 Prozent statt derzeit 30 Prozent zu versteuern. Eine komplette Abschaffung für Startups wäre wünschenswert.
2.3. Forschungszulage
Die Forschungszulage ist ein sinnvoller Baustein bei der Finanzierung kleinerer Projekte und zur Unterstützung bei der Anschubfinanzierung. BIO Deutschland hat in einer Firmenbefragung Anfang 2023 bereits sehr positive Rückmeldungen der innovativen Biotechnologie-Unternehmen verkündet.1 Trotz des mehrheitlich positiven Feedbacks besteht dennoch Bedarf für Nachbesserungen, um die Förderung für deutlich mehr Unternehmen attraktiv und sinnvoll zu machen. Der vorliegende Gesetzesentwurf stößt dabei einige richtige Verbesserungen an, weist aber weiterhin Schwächen im Vergleich zu international vergleichbaren Förderinstrumenten auf.
2.3.1. Zu § 3 Abs. 3a FZulG-E – Einbezug von Sachkosten
Der Einbezug von Sachkosten ist wichtig; die Begrenzung auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (oder auch geleaste Wirtschaftsgüter) greift aber zu kurz. Es ist wesentlich, dass auch Verbrauchsgüter wie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und Laborbedarf einbezogen werden können, da in der Biotechnologie-Industrie teilweise signifikante Beträge für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (darunter die externe Herstellung von Materialien unter regulierten Produktionsbedingungen) aufgewandt werden müssen.
BIO Deutschland unterstützt den Vorschlag des BDI, die Forschungszulage auf Anschaffungskosten für die Installation von kommerziellen Pilotanlagen im Dauerbetrieb zu erweitern. Während der Erforschung geeigneter Konzepte leidet die Wirtschaftlichkeit installierter Anlagen erheblich. Eine dauerhafte Eignung lässt sich oft nur mit Pilotprojekten im kommerziellen Dauerbetrieb überprüfen.
2.3.2. Zu § 3 Abs. 4 FZulG-E – Auftragsforschung
Die Anhebung der Grenze bei Auftragsforschung ist grundsätzlich positiv, eine Limitierung auf 70 Prozent ist aber nicht nachvollziehbar.
Auftragsforschung sollte vollumfänglich förderfähig und zwar sowohl dann, wenn dies mit einem Hochschulpartner geschieht, als auch dann, wenn dies in Kooperation mit einem spezialisierten Fachunternehmen geschieht. Die regulatorischen Anforderungen gerade im Bereich der Arzneimittelforschung führen dazu, dass nicht jedes kleine und mittlere Unternehmen das nötige Wissen komplett in-house vorhalten kann, sondern gewisse Aufgaben zur Zielerreichung – auch aufgrund umfangreicher regulatorischer Anforderungen – an Auftragnehmer geben muss.
44 Prozent der Biotechnologieunternehmen Deutschlands stellen ihr Fachwissen Dritten zur Verfügung und sichern so die technologische Souveränität in den Spitzen- und Schlüsseltechnologien. Die Komplexität ist dabei immens. Das Unternehmen BioNTech gibt z. B. an, dass 50.000 Arbeitsschritte von der Herstellung der mRNA bis zum finalen Bulk-Impfstoff erforderlich seien.
2.3.3. Zu § 4 – Anhebung der Förderquote für KMU
Die Anhebung der Förderquote um 10 Prozentpunkte für kleine und mittlere Unternehmen begrüßt BIO Deutschland sehr! Dies ist ein wichtiger Baustein in der internationalen Konkurrenzfähigkeit forschender Unternehmen.
2.3.4. Zu § 6 FZulG-E – Bescheinigung
Es ist nicht nachvollziehbar, dass ab der Ausstellung einer zweiten Bescheinigung im selben Geschäftsjahr Gebühren erhoben werden, zumal die Bescheinigungsstelle keinerlei Beratungsfunktion übernimmt. Im Gegenteil, es muss weiter daran gearbeitet werden, den Antragsprozess zu vereinfachen und für die Unternehmen Rechtssicherheit für zukünftige Prüfungen (im Rahmen von Außenprüfungen der Finanzämter) sicherzustellen.
Die Auszahlung der Forschungszulage sollte sofort nach Erhalt des Bescheides erfolgen.