Strukturen modernisieren. Verantwortung klären. Digitalisierung gemeinsam gestalten.

13.03.2019

Die Bundesregierung will die Gestaltung der Digitalisierung im Gesundheitssystem durch Änderungen der heutigen Strukturen für die Entscheidungsprozesse beschleunigen. Die Änderungsanträge der Regierungsfraktionen zum TSVG enthalten unter anderem Regelungen zur gematik und zu Zuständigkeiten beim Thema Interoperabilität. Aus Sicht der beteiligten Industrieverbände bergen die Veränderungen bei der gematik Chancen, die allerdings nicht allein durch diesen gesetzgeberischen Schritt vollumfänglich realisiert werden. Die Ermächtigung der KBV als grundlegende Entscheiderin bezüglich der semantischen und syntaktischen Interoperabilität hingegen, darf aus Sicht der Industrie lediglich ein Zwischenschritt sein.

Die acht Verbände der industriellen Gesundheitswirtschaft schlagen in diesem Zusammenhang parallel die Schaffung einer ergänzenden nationalen Koordinierungsstelle E-Health Deutschland vor. Diese könnte beispielsweise an einer strukturell-modernisierten gematik als operativ eigenständige Organisationseinheit angedockt sein. Ziel ist es, zeitnah und nachhaltig digitale Anwendungen in das deutsche Gesundheitssystem einzuführen und deren Interoperabilität sicherzustellen. Vor dem Hintergrund der Komplexität der Aufgabe müssen die Kompetenzen aller Stakeholder des Gesundheitssystems – nicht nur die einzelnen Vertreter der Selbstverwaltung – zur Geltung kommen und sich an einem gemeinsamen eHealth-Zielbild beteiligen und orientieren.

Gemeinsam Digitalisierung gestalten – Reform mit zwei Säulen notwendig

Die Vorschläge der Industrie folgen zwei Ansätzen: einer zügigen Modernisierung der Strukturen der gematik einerseits und parallel der partizipativen Übernahme von Verantwortung durch eine Koordinierungsstelle E-Health Deutschland andererseits. Eine modernisierte gematik verantwortet den Betrieb und Zugang zur Infrastruktur, während die neu einzurichtende Koordinierungsstelle unter Einbezug von Stakeholdern die Grundlage für semantisch interoperable Profile zum Austausch von medizinischen Informationen schafft. 

a) Verantwortung für Interoperabilität übernehmen: Einrichtung einer Koordinierungsstelle E-Health Deutschland

Es bedarf aus Sicht der Industrie eines effektiven Prozesses, der den Erfolg bei der Einführung der ePatientenakte (ePA) und perspektivisch aller anderen digitalen Anwendungen sicherstellt. Ziel muss es sein, schnell und stringent zu Entscheidungen zu kommen. Die Norm ISO/TR 28380 bietet eine mögliche Grundlage für eine entsprechende Prozessbeschreibung; weitere funktionierende Beispiele finden sich im Bereich des Mobilfunks. Ein solcher Prozess muss sicherstellen, dass neben der Selbstverwaltung auch die Stimmen der Standardisierungsexperten aus Wissenschaft und Industrie gleichberechtigt Gehör finden; und zwar früh in der Entwicklungsphase. So wird Akzeptanz geschaffen und in der Praxis werden anwendbare und kosteneffiziente Lösungen entwickelt. Wichtig ist auch ein intersektoraler Ansatz, sodass Versorgung als auch Wissenschaft perspektivisch die Vorteile der Digitalisierung nutzen können.

Eine kleine und neutrale Organisation, die beauftragt wird, den Prozess agil zu moderieren, zu überwachen und dabei alle betroffenen Gruppen transparent in den Prozess einbindet, muss die gematik ergänzen. Eine solche Koordinierungsstelle E-Health Deutschland kann an bestehende Strukturen, wie z.B. an einer strukturell-modernisierten gematik, angegliedert oder eigenständig aufgebaut werden. Sie darf aber für den Erfolg trotz unvermeidlicher Partikularinteressen eben gerade nicht in der Hand eines einzelnen Akteurs der Selbstverwaltung liegen. In einem § 291 h neu SGB V kann die Stelle mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden und somit direkt gesetzliche Aufträge entgegennehmen. Der Koordinierungsstelle E-Health Deutschland werden gesetzlich außerdem konkrete Fristen zur Umsetzung der übertragenen Aufgaben gesetzt. Sie könnte von einem interdisziplinär und branchenübergreifend besetzten Aufsichtsrat beratend unterstützt werden, der keinen Eingriff ins operative Geschäft der technischen Umsetzung und Zertifizierung vornimmt, aber z.B. konkrete Beschlussvorlagen für eine einheitlichen Erhebung und Nutzung von Daten in Versorgung und Forschung zur Bestätigung durch das Bundesgesundheitsministerium in Abstimmung mit dem Bundesforschungsministerium vorlegt. Die Koordinierungsstelle E-Health Deutschland könnte bei raschem Handeln bereits im Jahr 2019 ihre Arbeit aufnehmen.

b) Modernisierung der Strukturen der gematik

Es ist hoheitliche Aufgabe des Staates, eine funktionierende Infrastruktur zum Austausch von Gesundheits- und Sozialdaten zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Schluss kommen sowohl die aktuelle internationale eHealth-Vergleichsstudie der Bertelsmann-Stiftung als auch der Bundesrechnungshof ebenso wie weitere wissenschaftliche Ausarbeitungen. Die diesbezüglichen Änderungen im Rahmen des TSVG-Gesetzgebungsverfahrens zeigen die richtige Richtung auf und sind daher begrüßenswert.

Daten benötigen einen sicheren Transportweg und der gematik kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Diese umfasst z. B. eine technische Spezifikation der ePA-Schnittstellen zur Telematikinfrastruktur (TI) sowie die Verantwortung für den Betrieb der Infrastruktur. Die gemäß der Hightech-Strategie der Bundesregierung bis zum Jahr 2025 einzuführende forschungskompatible ePA ist hierbei gleichfalls zu berücksichtigen und mit zu denken. Um Innovation zu fördern, sollte die Spezifikation von Fachanwendungen auf der TI aber ausdrücklich nicht in der Verantwortung der gematik liegen. Dringend zu trennen ist außerdem die Hoheit über die Spezifizierung von der Hoheit über die Zertifizierung. Die Zertifizierung eigener Spezifikationen ist bei international etablierten Verfahren ausgeschlossen, um transparent zu hochwertigen Ergebnissen zu kommen.

Die Aufgaben der gematik sollen deshalb konsequent auf die Verantwortung für den sicheren Betrieb der TI und der dazu notwendigen technischen Festlegungen begrenzt werden. Prozesse und Verfahren innerhalb der gematik müssen überdies transparenter und schneller werden und dürfen nicht den Anwendungsfall und die praktische Umsetzung aus den Augen verlieren. Die Geschäftsordnung der gematik muss dahingehend angepasst werden. Um operative Geschwindigkeit zu erzeugen, sollte sich die Gesellschafterversammlung auf die Überwachung des operativen Betriebs sowie auf strategische Entscheidungen beschränken. Mehrheitsentscheidungen sollten konsequenterweise zur Regel werden, um Blockaden zu vermeiden. Nötig ist ebenfalls eine Anpassung der Regelungen zum Interoperabilitätsverzeichnis Vesta, damit die technischen Spezifikationen der TI von den Festlegungen für die technische und semantische Interoperabilität von Fachanwendungen getrennt werden. Die Bewertungen der Expertinnen und Experten müssen an Bedeutung gewinnen. Die Interoperabilitätsstudie aus dem Jahr 2014 zeigt diesbezüglich mögliche Lösungen auf. Standards sollten beispielsweise künftig nicht mehr durch Beschluss der Gesellschafterversammlung ohne Vesta-Kommentierungsverfahren eingestellt werden können (geschehen bei der umstrittenen Schnittstelle nach § 291 d, Absatz 1) – so verliert das Verzeichnis an Bedeutung.

Fazit: Digitalisierung für zukunftssichere Gesundheitsversorgung braucht eine Koordinierungsstelle E-Health Deutschland und moderne Strukturen bei der gematik

Erfolgreiche Digitalisierung ist ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem nur eine konstruktive und zielgerichtete Debatte und branchen- wie sektorenübergreifende Kollaboration zum Erfolg führen. Es braucht keine Organisation, die neue Standards setzt oder entwickelt, sondern ergänzend zur gematik eine Organisation, die längst vorhandene und international bewährte Standards für konkrete Anwendungsfälle in Deutschland verbindlich festlegt und das vorhandene Wissen über die beste Lösung koordiniert und moderiert. Dafür muss auch eine angemessene deutsche Beteiligung in internationalen Standardisierungsgremien gewährleistet sein.

Der Vorteil eines solchen Ansatzes ist, dass sich alle für den Erfolg der Digitalisierung benötigten Gruppen in den Prozess einbringen und somit Verantwortung für die Inhalte übernehmen. Der Prozess selbst wird durch ebendiese Gruppen gemeinsam unter einer neutralen Moderation der Ministerien entwickelt und von diesen bestätigt. Somit übernimmt die Koordinierungsstelle E-Health Deutschland gemäß des festgelegten Prozesses die Verantwortung für die formale Umsetzung. Darüber hinaus sollte diese Stelle zur zentralen Wissensvermittlerin und Koordinatorin der Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem werden und könnte perspektivisch ein erweitertes Aufgabenportfolio übernehmen. Aus diesen Gründen haben viele Gesundheitssysteme weltweit diesen Schritt bereits umgesetzt und signifikante Fortschritte in der digitalen Transformation erzielen können. Die aktuelle Vergleichsstudie #SmartHealthSystems der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass eine zentrale Koordinierungsstelle ein zentraler Erfolgsfaktor ist, neben einer nationalen eHealth-Strategie und der politischen Führungsrolle.

Für kurzfristige und nachhaltige Erfolge in der Digitalpolitik des Gesundheitssystems sollte jede beteiligte Gruppe ihre Stärken einbringen. Die Industrie etwa liefert innovative Lösungen und bietet diese im Wettbewerb an – eine Rolle, die ein Organ der Selbstverwaltung niemals mit gleichwertiger Effizienz erfüllen könnte. Die Vorteile der Digitalisierung müssen bei Patientinnen und Patienten ankommen, die als einzige, der unmittelbar am System Beteiligten in ihrem Denken frei sind von Sektorengrenzen; ihr oberstes Ziel ist ihre Gesundheit. Ein eHealth-Zielbild und eine sich daraus ableitende eHealth-Strategie sind daher weiterhin dringend erforderlich.

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