Verbändepapier zum Dialogprozess Bioökonomie

23.08.2018

Bei der Bioökonomie handelt es sich um einen seit Langem bekannten Wirtschaftszweig. Die Nutzung biologischer Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen wird von den Menschen über Jahrtausende praktiziert. Dabei werden bereits seit rund 10.000 Jahren auch biobasierte Technologien eingesetzt, etwa um Nahrungsmittel wie Brot, Käse, Joghurt, Wein und Bier zu produzieren und zu veredeln.

Schon damals wurden Naturressourcen intensiv genutzt - ohne Folgen für die Natur wie etwa Erosion und Überweidung verhindern zu können. Mit der industriellen Revolution und ihren Energieträgern Kohle und Erdöl wurde der Mensch aber erstmals durch tiefgreifende Eingriffe zur erdgestaltenden und verändernden Kraft. Dadurch wurde einerseits ein enormer Fortschritt ermöglicht, der zu einem starken Anstieg des Wohlstandes und zu einem überproportionalen Bevölkerungswachstum geführt hat. Hiermit ging aber auf der anderen Seite auch ein deutlich höherer Bedarf an Nahrung, Gebrauchsgütern und Energie einher. Zudem führte die Nutzung fossiler Energieträger zu einer signifikanten Erhöhung von Kohlenstoffdioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre. Vor Beginn der industriellen Revolution lag die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei etwa 280 ppm, heute beträgt sie rund 385 ppm[1]. Dieser Anstieg wurde zum weitaus größten Teil durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe verursacht. Der vor allem durch den Kohlenstoffdioxidanstieg entstandene Treibhauseffekt hat in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu einer spürbaren Erwärmung der Erdatmosphäre geführt. Nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde NASA war das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wärmer als jedes jemals zuvor dokumentierte.

Nach Einschätzungen aus der Wissenschaft liegt das Hauptrisiko bei der Erderwärmung in der damit verbundenen Umwälzung des weltweiten Wasserhaushalts und den damit verbundenen Folgen: Anstieg des Meeresspiegels, negative Einflüsse auf die Biodiversität, Ausbreitung von Infektionskrankheiten etc.[2].

Als aussichtsreicher und letztlich unumgänglicher Weg bietet sich in dieser Situation der Übergang zu einer Wirtschaftsform an, die auf erneuerbare Energieträger und Rohstoffe setzt. So hat der mit der industriellen Revolution verbundene technologische Fortschritt dazu geführt, dass heute Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Auswege aus nicht-nachhaltigen Anwendungen eröffnen. Durch die Nutzung von Biomasse aus der Agrarwirtschaft, der Forstwirtschaft, der Fischereiwirtschaft und Aquakultur sowie aus der Abfallwirtschaft ist es möglich, Prozesse gleichzeitig umweltverträglich und wirtschaftlich zu gestalten. Werden nachwachsende Rohstoffe oder biogene Reststoffe anstelle fossiler Kohlenstoffquellen eingesetzt, hilft dies, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern und das Klima zu schonen.

Den in diesem Zusammenhang entwickelten Konzepten der Bioökonomie, der Kreislaufwirtschaft oder der kaskadenförmigen Nutzung von Biomasse wohnt ein gewaltiges Potenzial für eine nachhaltiger gestaltete Umwelt sowie größere Unabhängigkeit von fossilen Ressourcen inne. Während sich Kreislaufwirtschaft und Kaskadennutzung darauf konzentrieren, den Wert von Produkten, Stoffen und Ressourcen innerhalb der Wirtschaft so lange wie möglich zu erhalten und die Umwelteffizienz der Prozesse zu verbessern, umfasst die Bioökonomie die nachhaltige Produktion erneuerbarer biologischer Ressourcen und die Umwandlung dieser Ressourcen und Abfallströme in Produkte mit einem Mehrwert, wie Lebensmittel, Futtermittel, biobasierte Produkte und Bioenergie.

Dabei ist die Bioökonomie deutlich mehr als nur ein weiterer Rohstoffsektor, sondern zeichnet sich durch besondere Eigenschaften aus. Bei der Bioökonomie geht es um die „Biologisierung“ der industriellen Wertschöpfung. Hierfür wird der Werkzeugkasten der Natur genutzt, um diese zu bewahren.

Die Fortschritte in den Biowissenschaften erschließen Handlungsspielräume in der Produktion und sichern die Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln, medizinischen Produkten und Rohstoffen. Die nachhaltigen Bioökonomien der Zukunft werden somit wissensbasiert sein.

Die Implementierung biotechnologischer Prozesse kann allerdings zu Interessenkonflikten führen. So können etwa zwischen den Akteuren traditioneller und innovativer Wertschöpfungsketten Interessenkonflikte entstehen, wenn eine neue, zusätzliche Nachfrage nach Biomasse nicht auf eine parallele Ausweitung des Biomasseangebots oder eine Etablierung neuer Kaskadennutzungen trifft. Interessenskonflikte sind auch möglich, wenn Produkte innovativer bio-basierter Wertschöpfungsketten die entsprechenden Produkte auf fossiler Basis bzw. aus traditionellen Biomasse-Wertschöpfungsketten ersetzen sollen. Interessenkonflikte können insbesondere dann erwartet werden, wenn innovative bio-basierte Produkte durch neue Akteure auf den Markt gebracht werden und nicht durch eine Weiterentwicklung etablierter Akteure. Je stärker die Pfadabhängigkeit von etablierten Biomasse-Wirtschaftssektoren ist, umso größer ist das potentielle Konfliktpotential. Neben den Interessenkonflikten auf wirtschaftlicher Ebene, spielt auch die Akzeptanz biobasierter Produkte bei den Kunden eine wesentliche Rolle für den erfolgreichen Übergang in eine wissensbasierte Bioökonomie. Besonders unter Endverbrauchern herrscht häufig Unwissenheit über die Eigenschaften biobasierter Produkte und ihre Bedeutung für einen nachhaltigen Konsum. Bei aufgeklärten Endverbrauchern zeigt sich zudem häufig eine Diskrepanz zwischen ihrem Wunsch nach dem Konsum biobasierter Produkte und der Bereitschaft hierfür einen höheren Preis zu bezahlen. 

Um den Weg in eine nachhaltige Bioökonomie erfolgreich zu beschreiten, ist daher ein intensiver Diskurs in Politik und Gesellschaft mit Teilhabe der deutschen Industrie erforderlich. Aus diesem Grund unterstützen die Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland (BIO Deutschland), die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) und der Industrieverbund Weiße Biotechnologie (IWBio) die von der Bundesregierung geplante Dialogplattform zur Bioökonomie im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Im Rahmen dieses gesamtgesellschaftlichen Dialogs – Biodialog – sollte unter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft über die Vor- und Nachteile der Anwendungen der Biotechnologie diskutiert werden.

[1] Vgl. den jährlichen Treibhausgas-Index der US-Wetter- und Klimabehörde NOAA den AGGI

[2] Mc Neill und Engelke 2013 in „Die Globalisierte Welt“: „Mensch und Umwelt im Zeitalter des Anthropozän“, S. 357-534; https://doi.org/10.17104/9783406641169-357

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